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Zukunftsfähige Behörde? Ja!
Wie stetige Qualifizierung den Weg für die digitale Zukunft ebnet

Rebecca Carmen Zapf
03. Jan. 2023
capgemini-invent

Qualifizierung des Personals als Hebel für die Verwaltungsmodernisierung ist wesentlicher Bestandteil des Koalitionsvertrags

„Die Verwaltung soll agiler und digitaler werden. Sie muss auf interdisziplinäre und kreative Problemlösungen setzen. Wir werden sie konsequent aus der Nutzungsperspektive heraus denken. Wir wollen das Silodenken überwinden und werden feste ressort- und behördenübergreifende agile Projektteams und Innovationseinheiten mit konkreten Kompetenzen ausstatten.“ Gehen die Verantwortlichen in der Behördenpraxis in die Umsetzung – und wenn ja, welche konkreten Maßnahmen werden in Ihrem Haus strategisch zur Zielerreichung initiiert?

Die Behörden stehen vor dem Qualifizierungsimperativ

Bis 2030 muss sich global jeder siebte erwerbstätige Arbeitnehmer weiterbilden1. Nur so können sie ihre vielfältigen Aufgaben weiterhin erfolgreich bewältigen. Mit umfangreichen Digitalisierungs- und Technologieinitiativen steht insbesondere die öffentliche Verwaltung in Deutschland mit fünf Millionen Beschäftigten2 vor dem Qualifizierungsimperativ: Technologien mit hohen Optimierungspotentialen, wie künstliche Intelligenz oder Prozessautomatisierung, verändern altbewährte Geschäfts- und Servicemodelle.

Der Einsatz von Robotern zur Auslese von Renteninformationen bei der Deutschen Rentenversicherung oder die E-Akte zur gemeinsamen Verarbeitung von Arbeitnehmerinformationen bei der Bundesagentur für Arbeit sind zwei Beispiele aus einer sich dynamisch digitalisierenden Verwaltungslandschaft. Digitale und agile Arbeitsweisen, das behördenübergreifende und ortsunabhängige Arbeiten sowie der Wandel von Linien- zu Projektarbeit charakterisieren die neue Normalität und bestimmen den neuen Arbeitsrahmen3.

Diese Veränderungen erfordern nicht nur neue Kompetenzen, sondern setzen effektive Ansätze der stetigen Fort- und Weiterbildung voraus. Denn für heute und morgen gilt: Qualifizierte Mitarbeitende sind der entscheidende Erfolgsfaktor, um die digitale Verwaltungstransformation nachhaltig umzusetzen. Die zurzeit fehlende stetige Fortbildung birgt die Gefahr, dass langfristig dem Verwaltungsauftrag nicht mehr entsprochen werden kann: Wenn teuer eingesetzte technische Lösungen nicht die erwartete Arbeitsentlastung für aktuell noch viele papierbasierte, manuelle Arbeitsschritte leisten und so die Arbeitslast per Verwaltungsmitarbeitende durch die weiter ansteigende Anzahl fehlender Fachkräfte zunimmt. Somit gewinnt die stetige Fort- und Weiterbildung innerhalb der Verwaltung massiv an Bedeutung und muss entlang der Prinzipien einer digitalen, dynamischen Welt gestaltet werden.

Lassen Sie uns Lernen in der Verwaltung weiterdenken – zukunftsgerichtet, mitarbeitendenzentriert, prioritär und kulturell verankert.

Systematisch der Zukunft begegnen – Zukunftsgerichtetes Lernen

Welche Kompetenzen braucht es und wie können relevante Kompetenzlücken identifiziert werden? Die essentielle Basis für die zukunftsgerichtete Weiterentwicklung der Belegschaft ist die kontinuierliche Erfassung der aktuellen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten in einer Behörde gefolgt von der Ableitung von operational relevanten Kompetenzen auf Basis von Verwaltungsauftrag und -zielen. Aktuell existiert lediglich in 24 % der Behörden ein strukturierter Prozess, um die Bedarfe für die kommenden Jahre zu ermitteln.5 Dies kann umfassende Kompetenzlücken in der Belegschaft mit sich bringen, die sich unmittelbar auf Erfolg und Misserfolg von Projekten auswirken.

Im Alltag zeigt sich dies in der Unzufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger, die auf unzureichend qualifizierte Mitarbeitende im Bereich digitale Behördendienste stoßen; oder beim Einkauf teurer externer Fachkräfte für technische Lösungen, die die tägliche Arbeit übernehmen, weil der Belegschaft die notwendigen Kompetenzen für neue Systeme und Prozesse fehlen. Ein systematisches Vorgehen erlaubt die bedarfsorientierte Identifikation von Potentialen sowie die Ableitung benötigter Qualifizierungsmaßnahmen.

Nicht nur die Erfüllung der Aufgaben von heute, sondern auch die Aufgaben der Zukunft bedingen eine Vielzahl von neuen Kompetenzen. Sei es z.B. in der Sicherstellung der Datensicherheit bei Wahlen und Bevölkerungsauszählungen oder der technischen Auszahlung des Arbeitslosengeldes; die regelmäßige Untersuchung von Zukunftskompetenzen bilden neben der Erfassung der aktuellen Kompetenzlücken die Grundlage für bedarfsgerechtes und zukunftsgerichtetes Lernen.

Initiativen wie Lernreise DigiTalent des Statistischen Bundesamtes7 sowie die Digitalakademie der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung8 zeigen erfolgreiche Beispiele, bei denen Zukunftskompetenzen identifiziert und in Qualifizierungsinitiativen überführt wurden. Eine strategische Kompetenzplanung, die auf den Auswirkungen zukünftiger Technologien und der strategischen Neuausrichtung einer Behörde basiert, bildet somit den Schlüssel, um zukunftsgerichtete Lernmaßnahmen umzusetzen.9

Lernmaßnahmen um die Lernenden gestalten – Mitarbeitendenzentriertes Lernen

Eine positive Lernerfahrung und nachhaltiger Lernerfolg finden in Zeiten von Informationsflut und digitaler Ermüdung vor allem dann statt, wenn Mitarbeitende die Lerninhalte als relevant und die eingesetzten Methoden als ansprechend empfinden. Aktuell erhält jedoch mehr als ein Viertel der Führungskräfte für die heutigen Weiterbildungsprogramme Rückmeldungen wie “nicht relevant”.10 Mitarbeitende von Anfang an in die Konzeption von Lernmaßnahmen einzubeziehen sowie kontinuierlich Feedback einzuholen ermöglicht nicht nur die Sicherstellung der Relevanz von Qualifizierungsmaßnahmen, sondern steigert auch deren Effektivität und Attraktivität maßgeblich.

Insbesondere jüngere Generationen, die an nahtlose digitale Erfahrungen gewöhnt sind, kommen mit ähnlichen Erwartungen an den Arbeitsplatz, wenn es um Lernangebote geht. Auch Mitarbeitenden mit physischen Arbeitsanforderungen, wie z. B. Polizist*innen oder Soldat*innen, können mit der Hilfe neuer Technologien wie Augmented Reality Lerneinheiten geboten werden, die ihre spezifische Arbeitswelt widerspiegeln. Lernangebote sollten somit multimodal, z. B. nach dem 70-20-10 Prinzip11, gestaltet werden, um sicherzustellen, dass sie praxisnah, spielerisch, anwendungs- und erlebnisorientiert sind und durch Lernen am Arbeitsplatz (z. B. Simulationen, Gamification, Fallstudien) und Lernen in der Gruppe (z. B. Reflexionsübungen, Diskussionsrunden, Communities) gefördert werden.

Vor allem für die Auswahl der Inhalte und Methodik von Lernangeboten ist es deshalb von entscheidender Bedeutung die Mitarbeitenden, z. B. durch den Einsatz von Design Thinking und Lernreisen, systematisch einzubeziehen und selbstgesteuertes, mitarbeitendenzentriertes Lernen zu fördern. Die Möglichkeiten sind vielfältigt; entscheidend ist die Berücksichtigung der Lernbedürfnisse sowie Lernpräferenzen in jeglichen Qualifizierungsmaßnahmen.  

Stetige Qualifizierung strategisch verstehen – Prioritäres Lernen

Bereits heute fehlen im öffentlichen Dienst in Deutschland rund 360.000 qualifizierte Fachkräfte12, um die dringend notwendige Modernisierung und Digitalisierung weiter voranzutreiben. Zusätzlich wird in den kommenden zehn Jahren fast jeder dritte Beschäftigte in den Ruhestand gehen.13 Da dieser Fachkräftebedarf in Zeiten des „War for Talent“ nicht allein durch Neueinstellungen gedeckt werden kann, müssen Fort- und Weiterbildungsmaßnamen in den Behörden höchste Priorität erhalten. So ist das Erkennen von Lernbedafen und der Aufbau benötigter Kompetenzen ein strategisches Investment, um den Auftrag der Verwaltung auch in Zukunft bedarfsgerecht erfüllen zu können.

Auch wenn das Thema Qualifizierung neben der Digitalisierung zunehmend an die Spitze der Behördenziele gelangt, ist das jeweilige Budget im Vergleich zu den Zeiten vor der Pandemie verkürzt.5 Die grundlegende Voraussetzung diesem Thema erfolgreich auf Organisationsebene zu begegnen ist, zukünftig genügend finanzielle und zeitliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen; nicht nur für die einzelnen Mitarbeitenden, sondern insbesondere auch in Bezug auf die einzelnen Personalreferate.

So müssen Führungskräfte jedes Referats Qualifizierungsmaßnahmen für das eigene Referat priorisieren, indem sie Freiräume für Lernmöglichkeiten des Teams schaffen sowie Lernende aktiv unterstützen, indem z.B. feste Lernzeiten (pro Woche, Monat und Jahr) festgelegt und das individuelle Lernbudget weitergegeben werden. Führungskräfte fungieren dabei als Vermittler von strategischen Qualifizierungszielen und unterstützen die Gestaltung von Lernmaßnahmen, indem sie die Bedrüfnisse des eigenen Referats erkennen, aktiv verfolgen und an die Personalreferate weitergeben. Das Personalreferat wird zum strategischen Partner der Behörde, das das Direktorium und die Führungsebenen zu zukünftigen Kompetenzbedarfen berät und mit diesen  gemeinsam Lerninhalte und lernförderliche Arbeitsbedingungen gestaltet.

Dazu gehört die finanzielle Unterstützung des Personalreferats für innovative Lern-Erfahrungs-Plattformen (wie z.B. degreed, Servicenow), die Ausgestaltung von Lernmaßnahmen sowie eine neue strategische Verortung des Personalreferats in der Behördenstruktur. Qualifizierung erhält die benötigte Priorität und unterstützt, aktuelle und zukünftige Kompetenzlücken rechtzeitig zu schließen, wenn es in die Strukturen des Behördenalltags eingegliedert ist.

Den Weg für die lernende Organisation ebnen – kulturell verankertes Lernen

Eine lernende Behörde ist ganzheitlich organisiert und baut auf einer lernförderlichen Einstellung sowohl der Mitarbeitenden als auch ihrer Führungskräfte auf. Lebenslanges Lernen ist kein „Nice-to-Have“ mehr, sondern grundlegende Voraussetzung jedes Mitarbeitendenprofils der Behörde. Dieser Paradigmenwechel im Denken der Behördenmitglieder findet seine feste Verankerung in den Organisationsstrukturen jeder Behörde: dies beginnt in einer struktuierten und kontinuierlichen Erfassung der aktuell vorhandenen Kompetenzen und Fähigkeiten in der Organisation.

Zwischen diesen und den zukünftig benötigten Kompetenzen findet ein Abgleich statt, aus dem sich die benötigten Qualifikationsanforderungen der Behörde ergeben. Auf dieser Basis entwickelt das Personalreferat bedarfsgerechte Lernstrategien und -lösungen, die sich an den strategischen Zielen der Hausleitung und der Fachbereiche orientieren. So werden strategische Qualifizierungsziele in referatsspezifische Lernmaßnahmen übersetzt. Dabei arbeiten Personal- und Fachbereiche eng zusammen, um zielgenaue Maßnahmen zu gestalten und bereitzustellen.

Das eigentliche Lernen findet jedoch auf der Ebene der einzelnen Mitarbeitenden und ihren direkten Vorgesetzten statt. Führungskräfte schaffen eine lernförderliche Kultur, welche auf Werten wie Partizipation, Offenheit, Vertrauen und Selbstorganisation beruht. Sie unterstützen ihre Mitarbeitenden in ihrer Weiterentwicklung, indem sie finanzielle und zeitliche Möglichkeiten zur Qualifizierung einräumen und diese priorisieren.

Diese strukturelle Systematisierung des Lernens in der Behörde führt zu dem Fördern und Einfordern des lebenslangen Lernens bei allen Mitarbeitenden und mündet in einer ganzheitlichen Bewegung zur lernenden Verwaltung. Die lernende Verwaltung bezieht somit alle Mitarbeitende – von der Leitung bis zur Sachbearbeitung – in die Verantwortung ein, stetige und dynamische Fort- und Weiterbildung in der Organisationskultur zu priorisieren, gegenseitig zu fördern und voranzutreiben.

Vielen Dank an die Co-Autor*innen Doris Förtschbeck und Ali Ergün.

Quellen

  1. Robert E. Moritz (2020), World Economic Forum, How do we upskill a billion people by 2030? (Stand: 17.02.2022)
  2. Statistisches Bundesamt, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes nach Aufgabenbereichen 30. Juni 2020 (Stand: 17.02.2022)
  3. Capgemni Research Institute (2020), Von Remote zu einer hybriden Arbeitsweise
  4. Capgemini Invent (2019), Wandel der Arbeitswelt im öffentlichen Sektor, Juli 2019
  5. Stifterverband (2021), Dikussionspapier Nr. 5, Die lernende Verwaltung, Dezember 2021
  6. Boston Consulting Group (2020). Die Verwaltung als Gewinnerin der Corona-Krise?
  7. Statisisches Bundesamt, Lernreise DigiTalent (Stand: 17.02.2022)
  8. Bundesakademie der öffentlichen Verwaltung, Digitalakademie (Stand: 17.02.2022)
  9. Capgemini Invent (2019), Unternehmen verpassen es, die digitale Talentlücke zu schließen (Stand 04.07.2022)
  10. Capgemini Research Institute (2018), Upskilling your people for the age of the machine
  11. Lombardo, Michael M; Eichinger, Robert W (1996). The Career Architect Development Planner (1st ed.). Minneapolis: Lominger.
  12. Handelsblatt (2022), Beamtenbund: 360.000 fehlende Stellen im öffentlichen Dienst.
  13. dbb beamtenbund und tarifunion (2020). Aufbruch – der öffentliche Dienst der Zukunft: Agil. Vielfältig. Digital.

Autorin

Rebecca Carmen Zapf

Director Workforce & Organization | Capgemini Invent Germany
Seit 2009 beschäftige ich mich mit den Themen Change Management, Leadership & New Work sowie der Transformation von Organisationen. Nach vielfältigen Stationen im In-und Ausland bin ich seit Anfang 2017 Teil des Workforce & Organizations-Team bei Capgemini Invent. Meine Projekte sind auf den Public Sector ausgerichtet und ich leite ein 20 köpfiges Team von Expert*innen. Uns verbindet die Überzeugung zu einer Verbesserung unserer Verwaltung und Demokratie beizutragen. Darüber hinaus bin ich zertifizierte Mindfulness Trainerin und habe 2020 die Initiative „InventYourself“ gegründet. Mit dieser verbinden wir bei Invent eine hohe Leistungserbringung mit einer nachhaltigen Haltung ggü. der eigenen Gesundheit.

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