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Das Physical Internet in der Logistik: Technisch machbar?

Anna Nicole Fischer
3. Apr. 2023

Mit dem Physical Internet (PI) könnte die Logistikbranche nicht nur Kosten sparen, sondern auch ihren ökologischen Fußabdruck enorm verbessern.

Die praktische Umsetzung ist derzeit zwar noch Zukunftsmusik. Die digitalen Technologien, die die Grundlage des PI bilden, sind jedoch größtenteils bereits vorhanden – unter anderem Blockchain, Container und Routing.

In unserem letzten Blogbeitrag über das PI haben wir einen Überblick über das Konzept gegeben. Es beruht darauf, dass die Kapazitäten des Marktes kollaborativ genutzt werden, z. B. im Frachtraum und Fuhrpark. Mithilfe von standardisierten und intelligenten Containern (PI-Containern) sollen Logistik-Kapazitäten optimal verteilt werden. Ganz im Sinne des Internets routet das PI-Sendungen anhand von standardisierten Protokollen und profitiert dabei von der Intelligenz der Container. Einzig von Belang ist dabei, welche Attribute und Bedingungen die Sendung zu erfüllen hat. Der eigentliche Transportweg wird nachrangig und aufgrund von Echtzeit-Bedingungen ermittelt.

Damit ein PI aber überhaupt realisiert werden kann, benötigt es umfangreiche Maßnahmen der Digitalisierung. Diese müssen sich mit der Kollaboration von Logistikanbietern, mit der notwendigen Infrastruktur, dem intelligenten Routing in dezentralen Netzwerken und letztlich mit der Intelligenz und Standardisierung der Container beschäftigen.

Blockchain als Infrastruktur des Physical Internet

Die prinzipielle Herausforderung des PIs ist die bewusste dezentrale Steuerung. Analog zum Internet besteht das Transportnetzwerk aus mehreren unabhängigen und selbstwirtschaftenden Dienstleistern. Für den dezentralen Betrieb sind daher folgende Aspekte zu beachten:

1. Eindeutigkeit und Verantwortlichkeit

Im Internet wird die Nachricht eines Absenders zunächst in unterschiedliche Sub-Nachrichten zerlegt und am Ende für den Empfänger wieder zusammengebaut. Dementsprechend werden auch im PI die Sendungen teilweise gestückelt und von mehreren Fahrzeugen nacheinander befördert. Dabei werden die PI-Container an zwischengeschalteten Knotenpunkten umgeladen, bevor sie schließlich das Ziel erreichen. Daraus ergibt sich aber auch eine höhere Anzahl an Akteuren.

Die Blockchain-Technologie ist derzeitig das digitale Werkzeug für diesen Aspekt. Smart Contracts, welche auf dieser Technologie basieren, sind sogenannte selbstausführende Verträge. Als solche sind sie in der Lage, für jede Sendung eindeutig darzulegen, wer gerade und in der Vergangenheit den Transport der Sendung verantwortet hat. Jeder Transport eines neuen Dienstleisters repräsentiert folglich einen neuen Kontrakt mit Verweis auf den vorherigen.

2. Abrechenbarkeit

Auch das PI wird von gewinnorientierten Unternehmen betrieben. Somit erwartet jede Partei die gerechte Bezahlung ihrer Dienstleistung.  Die Herausforderung dabei ist, dass der Versender sicherlich nicht Rechnungen vieler Dienstleiter verarbeiten will, sondern der Einfachheit halber nur mit einer Rechnung arbeiten möchte – analog dem Internetanschluss, wo der Kunde nur eine Rechnung für den eigenen Zugang bezieht. Daher ist eine sogenannte Clearingstelle im PI unumgänglich. Diese ist kollaborativ zu betreiben und bezieht sich auf die digitale Darstellung der abzurechnenden Sendung in der Blockchain. Wie diese Clearingstellen aufgesetzt ist – zentral oder dezentral – spielt letztlich keine Rolle; wobei eine zentrale Stelle, in der Dienstleister ihre eigene Leistung abrechnen und Kontrakte zur Kundenabrechnung abrufen, sicherlich simpler und effizienter ist.

3. Sichtbarkeit

Aus Sicht des Kunden sind zwei Anforderungen am wichtigsten: Transparenz darüber, wo die Sendung gerade ist, sowie das Einhalten aller Bedingungen der Sendung.  Diese Bedingungen können physischer Natur (temperaturgeführt, zerbrechlich, o.ä.) oder vertraglicher Natur (Lieferdatum, Uhrzeitvereinbarung, o.ä.) sein. Um bspw. das Lieferdatum einzuhalten, muss das aktuelle Datum einsehbar und gleichzeitig das Verkehrsaufkommen auf sämtlichen Teilstreckenstücken transparent und aktuell gespeichert sein, um darauf basierend die jeweils beste Route zu wählen. Für beide Anforderungen kann die Blockchain als digitale Grundlage für vollständige Sichtbarkeit agieren. Dafür sind umfangreiche Aspekte bei der Implementierung zu beachten: Lesbarkeit der kompletten Kette nur für den Versender und ggf. einen Bevollmächtigten, Lesbarkeit des eigenen Eintrages für den Dienstleister und Echtzeit-Aktualisierung der Informationen.

Die Blockchain ist also die digitale Basis für den Betrieb der PI-Infrastruktur. Sicherheitsaspekte sind mit dieser Technologie bereits implementiert und auch für Smart Contracts gültig.

Bezüglich der Typisierung der Blockchain sind unterschiedliche Ausprägungen möglich. Viele Logistikdienstleister setzen bereits heute Blockchains ein. Somit ist bei Beteiligung am PI zu entscheiden, ob es eine neue Blockchain für das PI geben oder eine sogenannte Metachain die Blockchains der beteiligten Dienstleister verbinden soll. Diese Konzepte sind als „Hybrid Blockchain“ oder „Konsortium Blockchain“ bekannt. Generell sind Public Blockchains hingegen für das PI aufgrund der fehlenden Sicherheitsaspekte nicht geeignet.

Weitere technische Aspekte: Container und Routing

Ganz klar wird die Blockchain ein wesentlicher Bestandteil des PI sein. In Verbindung damit gibt es aber noch zwei weitere Technologien, die nötig sind, um das PI technisch umzusetzen:

  • PI-Container sind im Wesentlichen mit LEGO-Steinen vergleichbar: Sie sind einfach zu lagern, zu handhaben und zu transportieren. Und sie bestehen aus einem standardisierten Satz von modularen, ineinandergreifenden Teilen (hier z.B. Boxen).
    Neben der Modularität ist die Kommunikationsfähigkeit eine technische Herausforderung. Produkt- und sendungsbezogene Parameter (z.B. Gewicht, Warenvolumen, etc.) sowie die aktuelle Position des PI-Containers müssen abrufbar sein. Diese Position muss außerdem in Echtzeit sichtbar und jederzeit eindeutig identifizierbar sein. Im Internet wird dafür eine MAC-Adresse genutzt.
    Vergleichbar im PI ist die SSCC (Serial Shipping Container Code) ID, die bereits international zur Identifikation von Transporteinheiten genutzt wird. Mithilfe von Sensorik und der SSCC ID kann jeder PI-Container Informationen speichern und senden und somit die Rückverfolgbarkeit garantiert werden. Im Wesentlichen nutzt das PI also die Kombination von Blockchain- und IoT-Technologien, um zu ermöglichen, dass jeder Sensor am PI-Container seinen Status an die Blockchain weitergeben kann.
  • Im PI soll das Transportkonzept zukünftig synchromodal ablaufen – zeitlich abgestimmt und unabhängig vom Transportweg. Für diese zeitliche Abstimmung muss ein dezentrales, dem Internet vergleichbares Routing etabliert sein. Im Internet erfolgt das Routing mit Hilfe des Border Gateway Protokolls (BGP), welches die Auswahl der aktuell besten Route zum Ziel vornimmt. Im PI sind die Anforderungen an Routingentscheidungen komplexer, denn neben dem Netzwerkstatus haben auch Sendungsparameter darauf Einfluss. Dennoch ist der Ansatz des BGP auf das PI übertragbar. Das als BGP-PI bezeichnete Protokoll adaptiert und erweitert den Routing-Algorithmus und ist heute noch Bestandteil der Forschung.

Technologie und Vertrauen als Grundlage für kollaborative Logistik-Netzwerke

Die technischen Voraussetzungen, um das Physical Internet umzusetzen, sind bereits bekannt. Das Konzept des dezentralen Ansatzes erfordert jedoch von den Teilnehmern, komplexere Systemzusammenhänge im Vergleich zu zentralen Lösungen zu akzeptieren. Analog dem Internet, welches bspw. verschiedenste Internetprovider verbindet, muss das PI Vertrauen zwischen den Logistikdienstleistern schaffen.

Einige notwendige Konzepte (z. B. das Routingprotokoll BGP-PI) sind noch Teil der Forschung, andere bereits heute in Produktivsystemen im Einsatz. So gesehen spricht technisch nichts gegen eine Umsetzung eines PIs. Zudem hat die EU bereits einige tiefergreifende Forschungsprojekte dazu beauftragt. Der Kostenfaktor der Implementierung eines PIs wird allerdings noch als bedeutende Barriere wahrgenommen. Insgesamt ist die größte Hürde jedoch nicht technisch – sie besteht weiterhin darin, dass einzelne gewinnorientierte Dienstleister kollaborativ zusammenarbeiten müssen.

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Autoren

Anna Nicole Fischer

Anna Nicole Fischer ist Business Analyst im Bereich Consumer Products, Retail & Distribution und Transport und fokussiert auf Supply Chain Management.