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Frühwarnsystem zur Auto-Supply-Chain Resilienz

Dr. Andreas Ebner
07.03.2024
capgemini-invent

Die Herausforderungen in der Automobilindustrie sind vielfältig: Geringe Daten zu unbekannten Risiken entlang der Supply Chain, dezentrale Datenspeicherung zu bekannten Risiken, zahlreiche Datenquellen, komplexe IT-Systemarchitektur und viele Interessengruppen innerhalb der Unternehmen. Das Beispiel eines unserer Kunden aus der Automobilbranche zeigt, wie schwerwiegend derartige Störungen entlang der Supply Chain sein können.

Aufgrund einer erheblichen Knappheit an Bauteilen und einem eingeschränkten Angebot an Transportmöglichkeiten war die Supply Chain eines Automobilherstellers bereits stark gefährdet. Ein Tsunami in Südostasien brachte die präzise orchestrierte Logistikkette unseres Kunden aus dem Gleichgewicht. Dies führte zu Unterbrechungen in entscheidenden Warenströmen und einem gestiegenem organisatorischen Aufwand für Sonderfahrten in den darauffolgenden Wochen. In enger Zusammenarbeit mit dem Kunden formulierten wir ein klares Zielbild: Ähnliche Risiken sollten künftig bereits bei der Auftragsvergabe berücksichtigt und bei Nichtvermeidung besser antizipiert werden, um die Widerstandsfähigkeit der Supply Chain gegenüber Störungen verschiedener Art zu stärken.

Datenverfügbarkeit ist der Schlüssel zur frühzeitigen Erkennung

Als Lösung entwickelten wir gemeinsam eine zentrale Datenplattform für ein gründliches und systematisches Monitoring aller Risiken innerhalb der gesamten Supply Chain. In einem ersten Schritt identifizierten wir gemeinsam mit dem Kunden sämtliche relevanten Störquellen entlang der Supply Chain in einem umfassenden Risikokatalog. Hierbei flossen sowohl Naturrisiken wie Tsunamis, Wirbelstürme und Fluten als auch gesellschaftlich-politische Risiken wie mögliche Grenzschließungen, Streiks oder die Missachtung von Nachhaltigkeitskriterien mit ein.

Im zweiten Schritt legten wir für jedes katalogisierte Risiko eine mögliche Messgröße sowie eine zugehörige Datenquelle fest. Zur umfassenden Risikobewertung berücksichtigten wir sowohl interne Assessments, die über verschiedene Datensilos verteilt waren, als auch externe Daten von verschiedenen Anbietern wie Euler Hermes oder der ENX Association. Dank der Anbindung der Datenquelle über automatisierte Schnittstellen kann ein stets aktiver Datenaustausch und -konsistenz zwischen den verschiedenen IT-Systemen sichergestellt werden. Für die Nutzer entwickelten wir zur Darstellung der Risikobewertungen ein benutzerfreundliches Dashboard. Zur intuitiven Erfassung der Risikobewertungen brachten wir die unterschiedlichen Risiko-KPIs in eine durchgängige Logik mittels eines Ampelsystems mit Grün-Gelb-Rot-Logik. Basierend auf dieser zentralen und umfassenden Datenbasis an Risikobewertungen entstanden zwei Produkte für die tägliche Arbeit der Einkäufer:innen: eine Lieferanten-Risikoscorecard für die Vergabe und ein Risikomanagement-Dashboard für die Serienbetreuung.

Zwei starke Lösungen für einen messbaren Mehrwert

Die Lieferanten-Risikoscorecard bezieht Risikofaktoren weitreichend ein, um eine risikobezogenen KPI je Lieferant abzuleiten. Das gibt den Einkäufern die Möglichkeit, in der Lieferantennominierung neben den üblichen Kriterien wie Preis und Qualität auch das Risiko für mögliche Produktionsausfälle monetär zu berücksichtigen. Dies schafft eine zuverlässigere Basis für die Lieferantenauswahl, indem datengestützte KPIs anstelle von subjektiven Einschätzungen treten. Im Rahmen des Projekts wurde die Risikobewertung verpflichtend für Nominierungen kritischer Lieferanten integriert und von umfangreichen Schulungsmaßnahmen für die Einkäufer:innen begleitet. Perspektivisch wird die Erstellung der Bewertungen durch generative KI unterstützt, um bspw. Risiken im Rahmen der Produktentwicklung auf Basis der gesamten Angebotsunterlagen bewerten zu können, anstatt ausschließlich auf das Wissen eines einzelnen Experten zurückzugreifen.

Das Risikomanagement-Dashboard gibt den Einkäufer:innen durch eine intuitive Anzeige tagesaktuelle Änderungen in der Risikobewertung weiter. Hierbei werden die relevanten Risikobewertungen spezifisch für die jeweiligen Bauteile angezeigt. Bei einer Verschlechterung des Risikostatus können so umgehend Maßnahmen ergriffen werden, um Risiken zu minimieren. Hierbei werden neben potenziell betroffenen Standorten auch die jeweiligen Bestände aufgeführt, um Maßnahmen zu priorisieren. Bereits während der Projektumsetzung konnte die Lösung ihren Mehrwert unter Beweis stellen, indem das Dashboard ein erhöhtes Risiko für einen Cybervorfall bei einem Lieferanten aufdeckte, das zuvor unbemerkt geblieben war. Dank dieser Lösung konnten rasch Maßnahmen ergriffen werden, um das Cyberrisiko zu minimieren. Zukünftig soll das Dashboard um Maßnahmenempfehlungen basierend auf generativer KI erweitert werden. Als Datenbasis dafür dient eine zentrale Plattform für das Tracking von Mitigationsmaßnahmen. Basierend auf vergleichbaren Lieferantenmerkmalen werden wirkungsvolle Strategien zur Risikovermeidung vorgeschlagen.

Wegweiser durch Unsicherheiten: von der Risikoerkennung zur proaktiven Reaktion

Risiken werden auch in Zukunft die Robustheit der Supply Chain herausfordern und sind nie gänzlich vermeidbar. Durch die Einführung der zentralen Risikomanagement Datenbank und den daraus entwickelten Produkten, kann der Kunde die Reduzierung von Risiken entlang der Supply Chain weiter vorantreiben und bei Erhöhung des Risikos unmittelbar gegensteuern. So ebnen wir den Weg von der Risikoerkennung hin zur proaktiven Reaktion.

Vielen Dank an den Co-Autor Dr. Henrik Bathke.

Unser Experte

Dr. Andreas Ebner

Senior Manager | Intelligent Industry (Supply Chain Transformation), Capgemini Invent Germany
Als Senior Manager im Bereich Intelligent Industry – Supply Chain bringe ich über ein Jahrzehnt Beratungserfahrung in verschiedenen Industrien mit. Mein Schwerpunkt liegt dabei im Bereich der Logistik. Weitere Schwerpunkte meiner Arbeit und meines Teams liegen im Bereich der Netzwerk- und Transportkostenoptimierung sowie des Risk-Managements zur Steigerung der Supply Chain Resilienz.

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