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Grüne Schwerpunktverlagerung: Wie Aftersales-Services die Nachhaltigkeit im produzierenden Gewerbe revolutionieren können

Murat Usta
29.05.2024
capgemini-invent

Kontextueller Überblick

Eine aktuelle Studie von Capgemini enthüllt einen ermutigenden Trend: Eine signifikante Steigerung der Anzahl von Führungskräften, die die essenzielle Bedeutung von Nachhaltigkeit in der Wirtschaft erkennen. Im Jahr 2022 lag diese Zahl noch bescheiden bei 21 %, doch bis 2023 ist sie auf beachtliche 63 % angewachsen. Dies verdeutlicht eine gesteigerte Sensibilität für die Wechselwirkungen zwischen Nachhaltigkeit, langfristiger Rentabilität von Unternehmen und dem Schutz unserer Umwelt. Diese Erkenntnisse werden durch die überzeugende Tatsache untermauert, dass 74 % der Befragten ökologische und soziale Nachhaltigkeit als einen Schlüssel zur Steigerung zukünftiger Wettbewerbsfähigkeit betrachten.

Produzierendes Gewerbe: Herausforderungen und Aussichten

Trotz des gestiegenen Bewusstseins gibt es bei der Verwirklichung dieser Nachhaltigkeitsziele noch eine erhebliche Lücke. Insbesondere in der verarbeitenden Industrie stehen die Führungskräfte unter dem enormen Druck, Kosteneinsparungen und Effizienz zu priorisieren. 80 % der Befragten äußerten Bedenken hinsichtlich der betrieblichen Leistung aufgrund der sich schnell entwickelnden Märkte. Eine effektive Lösung für diese Herausforderungen besteht darin, sich auf Aftersales-Services zu konzentrieren, die vielversprechende neue Märkte erschließen und höhere Gewinnmargen als der traditionelle Neuproduktmarkt bieten. Diese Dienstleistungen ermöglichen es den Herstellern, innovativ zu sein und sicherzustellen, dass sie die Bedürfnisse ihrer Kunden erfüllen. Bisher ist jedoch noch nicht ausreichend erkannt worden, dass die Nutzung von Aftersales-Services nicht nur dazu beitragen kann, einen Wettbewerbsvorteil zu erhalten, sondern auch führend in Nachhaltigkeitsthemen zu sein.

Nachhaltigkeit durch Aftersales-Services im Produktlebenszyklus

Abbildung 1: CO²- Einsparpotenziale durch Aftersales Manufacturing Services (Quelle: Capgemini Forschung)

Aftersales-Services haben einen starken Einfluss auf die meisten indirekten Emissionen (Scope 3) während des Lebenszyklus von Produkten und Anlagen und können somit erhebliche Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit der verarbeitenden Industrie haben (graue Fläche Abb. 1). Hersteller können nachhaltige Praktiken in die Bereitstellung von Dienstleistungen integrieren, um die Nachhaltigkeit zu verbessern und die Umweltbelastung zu reduzieren.

Punkt 1: Erkenntnisse nutzen

Zum einen können aus Aftersales-Services wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden. Sie bieten eine einzigartige Perspektive darüber, wie Produkte unter realen Bedingungen genutzt werden, was zu effizienteren Produktionsprozessen und nachhaltigeren Produktdesigns führen kann, die besser auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sind. Dies kann zu einer Verringerung des Materialabfalls und des Energieverbrauchs sowie letztendlich zu einer schlankeren Produktion führen.

Beispielsweise können Hersteller von Werkzeugmaschinen durch automatische und IoT-gestützte Analysen von Maschinen- und Reparaturdaten feststellen, welche Komponenten der Maschinen unter realen Arbeitsbedingungen anfällig für Verschleiß oder Defekte sind. Durch diese Erkenntnisse aus dem Aftersales erkennt der Hersteller, dass die Spindel seiner Fräsmaschinen regelmäßig ausfallen, was ein Überdenken des Designs und der Produktion dieser Komponente nahelegt. Hersteller können daraufhin dieses Bauteil verstärken oder besser schützen, um die Lebensdauer zu erhöhen. Dies führt zu langlebigeren Maschinen, die weniger Wartung und Reparaturen erfordern, was wiederum die Produktionsunterbrechungen und Betriebskosten für den Endnutzer reduziert. Die daraus resultierende Verringerung von Materialabfall und Energieverbrauch trägt außerdem zu nachhaltigeren Produktionsprozessen bei und fördert eine schlankere und kosteneffizientere Produktion sowohl für den Hersteller als auch für den Anwender der Werkzeugmaschinen.

Punkt 2: Lebensdauer verlängern

Zum anderen kann die Verlängerung der Produktlebensdauer durch Wartung und Upgrades nicht nur die Abfallmenge verringern, sondern auch den Bedarf an neuen Ressourcen reduzieren und den Nutzen sowie den Wert vorhandener Materialien verlängern. Schätzungen zufolge führt jede 1%ige Verlängerung des Produktlebenszyklus zu einer Reduzierung der Gesamt-Produktemissionen um 0,8%.
Während des Betriebes können gut strukturierte Aftersales-Services kontinuierliche Upgrades und Verbesserungen für die verwendeten Produkte anbieten. Diese Upgrades dienen nicht nur dazu, die Leistung der Geräte aufrechtzuerhalten, sondern bieten den Herstellern auch die Möglichkeit, mit der Zeit energieeffizientere oder weniger ressourcenintensive Lösungen einzuführen. Diese fortlaufenden Verbesserungen durch die enge Beziehung zum Kunden eröffnet neue Einnahmequellen und verbessert gleichzeitig das Nachhaltigkeitsprofil sowohl des Herstellers als auch des Kunden. Beispielhaft wären hier die Upgradeservices eines Flugzeugbauers zu nennen in welchem durch Austausch verschleißter Rotorblätter oder dem Hinzufügen von Strakes der Luftwiderstand reduziert wird und damit die Flugzeugleistung und Reichweite erhöht was wiederrum die Energieeffizienz des gesamten Flugzeuges steigert und seine Lebensdauer verlängert.

Punkt 3: Kreislaufwirtschaft fördern

Nach Abschluss des Lebenszyklus eines Produkts können Aftersales-Services eine entscheidende Rolle bei der Förderung der Kreislaufwirtschaft spielen. Dies geschieht durch die Aufarbeitung und den Weiterverkauf gebrauchter Geräte, das Recyceln von Komponenten und Materialien sowie das Anbieten von Inzahlungsnahmeprogrammen, die Anreize für die Rückgabe von Altgeräten schaffen. Diese Maßnahmen tragen dazu bei, dass Materialien möglichst lange in Gebrauch bleiben und der Bedarf an neuen Rohstoffen reduziert wird, was erhebliche Umweltvorteile mit sich bringt. Darüber hinaus kann die Kreislaufwirtschaft zu einem klaren Wettbewerbsvorteil werden, der bei umweltbewussten Verbrauchern Anerkennung findet und das Unternehmen als Vorreiter in nachhaltigen Praktiken positioniert. So kann das Angebot eines Autoherstellers von Eintauschprämien nicht nur dazu dienen Kunden zu binden, sondern auch als Möglichkeit dienen um Ressourcen und Komponenten zurückzugewinnen und in Remanufacturing Prozesse einfließen zu lassen. Dies verringert die Anforderungen an die Neuherstellung von Bauteilen und verhindert den Wertverlust auf Schrottplätzen oder Abstellplätzen. Beide Effekte verringern deutlich den CO² Fußabdruck des alten und neuen Autos. Somit haben Aftersales-Dienstleistungen nicht nur das Potenzial, direkte wirtschaftliche Vorteile zu generieren, sondern auch einen breiteren positiven Einfluss auf die Umwelt und die Gesellschaft insgesamt zu haben.

Strategischer Wandel für nachhaltige Vorteile

Um diese Vorteile zu nutzen, erfordert es einen Paradigmenwechsel von hauptsächlich produktionsorientierten zu mehr serviceorientierten Geschäftskonzepten. Dieser Wechsel beinhaltet die Einbeziehung der Anforderungen des Dienstleistungsgeschäfts in die Product Lifecycle Management (PLM)-Strategie, um Produkte von der Entstehung bis zum Ende ihrer Lebensdauer unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeit zu verwalten. Dies kann durch einen Übergang von Product Lifecycle Management (PLM) zu Service Life Cycle Management (SLM) realisiert werden. Der Schlüssel zu diesem Übergang ist eine durchgängige Datenkontinuität, die eine fundierte Entscheidungsfindung gewährleistet, die Nachhaltigkeitsziele wie Langlebigkeit und Wartungsfreundlichkeit unterstützt. Es ist notwendig, eine Vision zu entwickeln, die die Produktions-, Konstruktions- und Serviceabteilungen dazu bringt, sich gemeinsam auf Nachhaltigkeit und Kundenzufriedenheit zu konzentrieren. Durch die Integration von Serviceanforderungen in das Product Lifecycle Management (PLM) und die effektive Nutzung umfassender Daten können Hersteller ein Geschäftskonzept etablieren, das widerstandsfähig, nachhaltig und wertschöpfend ist.

Implementierung nachhaltiger After-Sales-Strategien

Um Nachhaltigkeit in den After-Sales-Aktivitäten zu verankern, sollten Hersteller die Ersatzteilhaltung optimieren, den Schwerpunkt auf vorrausschauende Wartung (predictive maintenance) legen, digitale Tools für eine effiziente Serviceerbringung nutzen und das Servicepersonal in nachhaltigen Praktiken schulen. Eine weitere Chance von Aftersales-Services ist darüber hinaus den Wandel von einer lineraren Wirtschaft hin zu einer Kreislaufwirtschaft mitzuformen, durch die Gestaltung und Begleitung der Produkte während ihrer „End-of-Life“ Phase, hin zu remanufacturing und recycling. Weiter ist es von entscheidender Bedeutung, die Serviceleistung anhand von Nachhaltigkeits- und Kundenzufriedenheitsmetriken zu messen und die Datenanalyse zur kontinuierlichen Verbesserung einzusetzen. Diese Strategien fördern nicht nur die Nachhaltigkeit, sondern stärken auch die Kundentreue und die betriebliche Kompetenz.

Fazit

Angesichts der zunehmenden Dringlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen müssen Unternehmen ihre Bemühungen um ökologische und soziale Nachhaltigkeit beschleunigen, Emissionsziele festlegen und ihre Lieferketten für eine nachhaltigere und gerechtere Zukunft überdenken. Wir befinden uns in einem kritischen Zeitraum für Klimamaßnahmen, und Unternehmen sind aufgefordert, substantielle Änderungen vorzunehmen, die über das Jahr 2024 hinaus Wirkung zeigen werden. Die Einführung und Verbesserung von After Sales Services bietet hohe Potentiale für Unternehmen im produzierenden Gewerbe sowohl im Hinblick auf Erreichung von Nachhaltigkeitszielen als auch zur Schaffung eines Wettbewerbsvorteils.

Unser Experte

Murat Usta

Director | Intelligent Industry, Capgemini Invent Germany
Seit über 10 Jahren beschäftige ich mich mit der Digitalen Transformation meiner Kunden in den Sektoren Manufacturing, High-tech sowie Luft-und Raumfahrt. Dabei verantworte ich die Themengebiete Smart Quality und After Sales Services. Beide Themen haben eins gemeinsam: Datenbasiert und intelligent gesteuert verhelfen sie zu schlankeren Prozessen und einer höheren Qualität. In dem Zusammenhang unterstütze ich meine Kunden bei der Sicherung und Ausweitung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt.

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