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Green IT im öffentlichen Sektor: Der Einsatz von nachhaltiger Software für eine klimaneutrale Verwaltung

Dr. Helge Maas
21.11.2024
capgemini-invent

Die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit drückt sich deutlich in den entsprechenden gesetzlichen Vorgaben für die Bundesverwaltung1,2 aus, wonach diese bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu organisieren ist. Vergleichbare Vorgaben bestehen ebenso für die Mehrheit der Bundesländer3,4.

Vor dem Hintergrund der voranschreitenden Digitalisierung von Verwaltungsleistungen nimmt die Zahl, der durch die öffentliche Hand eigenentwickelten sowie eingekauften Anwendungen stetig zu. Obwohl der Energieverbrauch von Rechenzentren und Übertragungsnetzen in Deutschland von ca. 16 TWh/a in 2020 auf über 30 TWh/a in 2030 steigen soll5, gibt es keine gesetzlichen Maßgaben für die Mindesteffizienz von Softwareprodukten. Dabei bedingen ineffizient entwickelte Anwendungen eine höhere Auslastung der zum Betrieb nötigen Hardwareinfrastruktur, woraus sich im Vergleich mit effizienterer Software ein bis zu viermal höherer Energieverbrauch ergeben kann.6 Eine übermäßige Beanspruchung der Hardware führt wiederum dazu, diese frühzeitig durch leistungsfähigere ersetzen zu müssen. Dementsprechend lässt sich der Energieverbrauch von Hardware immer auch der Software zuordnen, die darauf betrieben wird.7

Wie lässt sich die Nachhaltigkeit einer Software bewerten?

Unter Beachtung des funktionalen Zusammenhangs zwischen Soft- und Hardware spielt die Betrachtung der Ressourcen- und Energieeffizienz einer Anwendung eine wesentliche Rolle. In diesem Bewertungskomplex ist es u. a. von Bedeutung, dass eine Software die Nutzung bestehender Energiemanagementsysteme, wie automatische Abschaltfunktionen für nicht genutzte Geräte ermöglicht. Grundsätzlich bestimmen Design und Architektur einer Software den Umfang der zu deren Betrieb benötigten Hardwarekomponenten (z. B. Server oder Speichersysteme). Die hiervon beeinflussten Leistungsanforderungen einer Anwendung sind dementsprechend der wesentlichste Faktor hinsichtlich der Hardwareauslastung eines Geräts und wirken sich unmittelbar auf die Hardwarenutzungsdauer aus. Hohe Auslastungsparameter führen nicht selten zur Notwendigkeit eines vorzeitigen Hardwaretauschs (vgl. softwarebedingte Obsoleszenz8). In dieser Hinsicht kann die Lebensdauer von Hardwarekomponenten über die Sicherstellung der Abwärtskompatibilität einer Anwendung verlängert werden, deren Erfüllungsgrad anhand der Darstellung der zum Softwarebetrieb minimalen Systemanforderungen nachvollziehbar wird. Ebenso hängt die Nachhaltigkeit einer Software von Aspekten der Nutzungsautonomie des Anwenders ab. Diese beschreibt die Entscheidungsfreiheit eines Nutzers bei der Verwendung einer Anwendung. Demzufolge sollten u. a. die genutzten Datenformate offenen Standards entsprechen, sodass eine Weiterverwendung auch mit anderen Softwareprodukten problemlos möglich ist.

Gibt es bereits standardisierte Prüfverfahren zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Software?

Die genannten Nachhaltigkeitsaspekte adressierend, hat die für das Umweltzeichen „Blauer Engel“ vergabeberechtigte RAL gGmbH im Jahr 2020 in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit sowie dem Umweltbundesamt einen Katalog mit Anforderungen veröffentlicht, anhand dessen Softwareprodukte hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit zertifiziert und vergleichbar gemacht werden können.9 Möglichkeiten im Rahmen der Beschaffung frei auf dem Markt erhältliche Software mit ähnlicher Funktionalität nach dem Schema des „Blauen Engels“ miteinander zu vergleichen, sind aktuell allerdings kaum gegeben. Die Schwierigkeiten einer Produktzertifizierung liegen für Softwarehersteller v. a. darin, dass die Bewertung der Prüfkriterien keinen Teilerfüllungsgrad ermöglicht, sondern lediglich die Kategorien „erfüllt“ / „nicht erfüllt“ vorsieht. Herausfordernd sind ebenso die Einhaltung der hohen Messstandards bei der Energieverbrauchserhebung sowie das Fehlen von ausreichend technisch geschultem und zur Durchführung der Prüfverfahren berechtigtem Personal. So wurden bis dato lediglich Applikationen im niedrigen einstelligen Bereich zertifiziert.

Capgemini unterstützt Behörden beim Aufbau verbrauchsoptimierender Softwareprüfstrukturen

Zur Steigerung der Marktverbreitung der „Blauer Engel“-Zertifizierung hat Capgemini zuletzt zahlreiche Mitarbeitende zu Auditoren für „nachhaltige Software“ weitergebildet.

Um vor dem Hintergrund der bestehenden Herausforderungen weitere Impulse zu setzen, wurde parallel hierzu ein Prüfprozess inkl. Kriterienkatalog entwickelt, der die Inhalte des „Blauen Engels“ aufgreift (vgl. Abbildung 1), jedoch die Nachhaltigkeit der Software in Form eines Benchmarks in den Vordergrund stellt und nicht die eigentliche Zertifizierung. Anstelle 100 % für eine Zertifizierung erreichen zu müssen, wurde so ein Verfahren geschaffen, dass einen systematischen Vergleich von Software ermöglicht und Verbesserungspotentiale zur Steigerung der Nachhaltigkeit aufzeigt. Die ursprünglichen Kriterien wurden bedarfsgerecht angepasst und um weitere im Rahmen der Digitalisierung von Verwaltungsleistungen relevante Themen ergänzt. Bei der Entwicklung der Kriterien wurden in einem ganzheitlichen Ansatz Energieverbräuche während des Betriebs, die Komponentenauslastung, lokale Emissionsfaktoren, der Lebenszyklus verwendeter Hardware sowie deren geplante Einsatzdauer berücksichtigt. Über die Prüfstandards für bereits betriebene Software hinaus wurde zudem eine Vielzahl von nachhaltigkeitsrelevanten Handlungsempfehlungen für jede Entwicklungsphase neuer Software zusammengestellt. Diese sind geeignet, bereits vor Beginn eines Entwicklungsprojektes sicherzustellen, dass eine Anwendung zukünftig grundlegende Nachhaltigkeitsstandards erfüllen kann.  

Abbildung 1: Die Erstellung eines Nachhaltigkeits-Benchmarks erfordert drei grundlegende Schritte zur Zielerreichung

Prüfprozess und Prüfkriterien

Die im Kriterienkatalog festgehaltenen Prüfstandards bilden die inhaltliche Grundlage für den Prüfprozess (vgl. Abbildung 1). In der zugehörigen Prüfliste werden nach Prüfungsabschluss wiederum die Ergebnisse transparent und nachvollziehbar für zu prüfende Verfahren dargestellt. Die Kriterien sind in den drei Prüfkategorien Ressourcen- und Energieeffizienz, Hardwarenutzungsdauer und Nutzungsautonomie zusammengefasst. Die Einzelbewertungen jedes Kriteriums basieren auf der Auswertung von Betriebshandbüchern und technischer Dokumentationen.

Die Vorteile für die öffentliche Verwaltung sind vielfältig

Der Digitalisierungsprozess von Verwaltungsleistungen erfordert die Entwicklung und den Betrieb einer steigenden Zahl von Fachanwendungen. Dies führt ohne den Einsatz nachhaltiger Software unweigerlich zu einem steigenden Ressourceneinsatz, welcher den gesetzlichen Vorgaben zur Erreichung klimaneutraler Verwaltungsstrukturen bis 2030 diametral entgegensteht. Die Vorteile aus der Bewertung der Nachhaltigkeit von Softwareprodukten sind für die öffentliche Hand vielfältig:

Ressourcen- und Energieeffizienz: Die Softwareprüfung legt Ressourcen- und Energieverbräuche sowie deren Ursachen offen, woraus sich konkrete Optimierungsmaßnahmen ableiten lassen. Deren Umsetzung trägt zur Reduktion der benötigten Hardware bei und führt unmittelbar zu Emissions- und Kosteneinsparungen.

Transparenz und Vergleichbarkeit: Die Anwendung von Prüfstandards ermöglicht die Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeitsleistung verschiedener, bereits verfügbarer (Markt-)produkte mit ähnlicher Funktionalität und bietet so eine adäquate Entscheidungsgrundlage im Rahmen der Beschaffung.

Softwareeigenentwicklungen: Die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen geht für die öffentliche Hand mit dem Erfordernis einher, Fachverfahren bedarfsgerecht selbst zu entwickeln oder diese Aufgabe an Drittanbieter zu übertragen. Durch die grundsätzliche Anwendung standardisierter, energieeffizienzsteigernder Maßnahmen über sämtliche Phasen des Softwareentwicklungsprozesses hinweg kann die optimale Ressourceneffizienz einer Anwendung planbar erreicht werden. Dies gilt insbesondere auch für wiederkehrende Softwareanpassungen im Rahmen von Updates bzw. der Weiterentwicklung einer Software.

Hilfe zur Selbsthilfe: Die Implementierung von Nachhaltigkeitsstandards für Software ist ein bedeutender erster Schritt. Der Aufbau eigener Prüfstrukturen bzw. einer internen Prüfstelle ist geeignet, den Prüfprozess dauerhaft auf kosteneffiziente Weise und in größerem Maßstab anzuwenden.

Fazit

Mit Blick auf den Status quo und unter Berücksichtigung der fortschreitenden Digitalisierung öffentlicher Verwaltungsleistungen ist ein stetig steigender Energiebedarf absehbar. Das Themenfeld „nachhaltige Software“ bietet umfassende Einsparpotenziale, welche die Erreichung der Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsziele zugleich ermöglichen. Vor diesem Hintergrund ist der Fokus ganzheitlich auszurichten: Es gilt Nachhaltigkeitsstandards für Softwareprodukte flächendeckend zu etablieren und in den relevanten Handlungsfeldern anzuwenden – sowohl bei der Prüfung und Verbesserung bestehender Anwendungen als auch im Rahmen von Neuentwicklungen. Gerne unterstützen wir Sie Bei der zielgerichteten Umgestaltung Ihrer Fachverfahrenslandschaft.

Vielen Dank an unsere Co-Autoren Felix Caspari und Sebastian Vogel.


Unser Experte

Dr. Helge Maas

Director | Sustainability Lead Public Sector Germany, Capgemini Invent Germany
Helge Maas ist Sustainability Lead für den Public Sector bei Capgemini in Deutschland und berät die öffentliche Hand seit über 14 Jahren zu den Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Er unterstützt Kommunen, Behörden und Ministerien dabei, ihre ambitionierten Nachhaltigkeits- und Digitalisierungsziele zu erreichen sowie gesetzliche Vorgaben einzuhalten. Hierzu gehört unter anderem die Durchführung von Bestandsaufnahmen, die partizipative Erstellung von Maßnahmenplänen sowie die Schaffung nachhaltig tragfähiger Strukturen. In seinen Projekten arbeitet er getreu dem Motto „Global denken, lokal handeln“.

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