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Die Rolle des Einkaufs in Bezug auf nachhaltige Supply Chain Resilienz

Kai Hasenklever
20.12.2023
capgemini-invent

Mangelnde Resilienz in der Lieferkette als hausgemachtes Problem des Einkaufs?

In der heutigen Geschäftswelt, die von Unsicherheiten und schnellen Veränderungen geprägt ist, steht der Einkauf vor neuen Herausforderungen und Möglichkeiten. Einst lag der Fokus des Einkaufs vorrangig auf Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen, was zu aggressiven Preisverhandlungen und einer verstärkten Abhängigkeit von Lieferanten führte. Zudem haben viele Unternehmen Großteile ihrer Wertschöpfung outgesourced und Lieferketten wurden stetig komplexer. Doch in der Globalisierung und der aktuellen, volatilen Wirtschaftsumgebung zeichnet sich ein neues Schlüsselthema ab: die Resilienz der Supply Chain. Gleichzeitig steigt die Bedeutung von Nachhaltigkeit auch im Einkauf. Im Fokus von Nachhaltigkeit stehen die drei Faktoren Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Verstärkt wird die Nachfrage nach einer nachhaltigen Supply Chain unter anderem auch durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, welches die Einhaltung von Menschenrechten in Lieferketten sowie die unternehmerische Verantwortung fokussiert und im Januar 2023 in Kraft getreten ist.

Während in der Vergangenheit der Kostendruck primär die Handlungsmotive des Einkaufs bestimmte, wurde die Supply Chain anfälliger für externe Einflüsse wie Naturkatastrophen, wirtschaftliche Krisen und geopolitische Spannungen. Die globale Vernetzung der Supply Chains führte zwar zu kurzfristigen Effizienzgewinnen, aber sie legte auch den Grundstein für das, was heute als ein hausgemachtes Problem im Einkauf betrachtet werden könnte: die mangelnde Resilienz gegenüber Störungen und Veränderungen. Die aktuellen globalen Entwicklungen verdeutlichen nun, wie sehr diese Ansätze die Leistungsfähigkeit der Supply Chain beeinträchtigen können. Die Stärkung der nachhaltigen Supply Chain Resilienz beginnt mit der kritischen Selbstreflexion über vergangene Entscheidungen und daraus entstandenen Vorgehensweisen sowie der Suche nach neuen Wegen, um die sich verändernden Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. In den nachfolgenden Abschnitten werden verschiedene Maßnahmen und Praktiken vorgestellt, wie der Einkauf in der heutigen Zeit diese Herausforderungen bewältigen kann und welche strategischen Maßnahmen ergriffen werden können, um die Supply Chain widerstandsfähiger und agiler zu gestalten.

Der Einkauf im Wandel: Unsicherheiten, Volatilitäten und weitere Herausforderungen

Die dynamische Geschäftswelt der vergangenen Jahre hat Einkaufsorganisationen vor eine Fülle von disruptiven Ereignissen gestellt, die den globalen Markt in nie dagewesener Weise geprägt haben. Diese Entwicklungen haben unter anderem dazu geführt, dass Unternehmen weltweit ein neues Verständnis von Unsicherheit und Volatilität gewinnen müssen. Insbesondere ihre Supply Chains rücken dabei in den Fokus, da sie unter anderem von der COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt wurden: Fabriken wurden geschlossen, Grenzen wurden gesperrt und der weltweite Warenfluss geriet ins Stocken.

Auch die Zunahme von geopolitischen Spannungen und Handelskonflikten, führen zu erheblichen Unsicherheiten entlang der gesamten Supply Chain. Der Einkauf ist mit Exportbeschränkungen, Zöllen und Handelsbarrieren konfrontiert, die die Supply Chains und somit auch den Einkauf unter Druck setzten und die Notwendigkeit unterstrichen, alternative Beschaffungsstrategien zu entwickeln. Beide genannten Beispiele verdeutlichen die Anfälligkeit der Supply Chain und stellen den Einkauf vor die Herausforderung möglichst stabile und wenig anfällige Supply Chain zu gestalten. Die steigende Inflation ist eine weitere Herausforderung mit der Unternehmen und vor allem der Einkauf aktuell konfrontiert ist. Sie führt unter anderem zu einer enormen Kostensteigerung und erschwert die Wirtschaftlichkeitskalkulationen im Einkauf. Diese Preisschwankungen führen beispielsweise dazu, dass Unternehmen nicht nur mit schwankenden Beschaffungskosten umgehen müssen, sondern gleichzeitig wettbewerbsfähige Preise aufrechterhalten müssen.

Die beschriebenen Entwicklungen haben den Einkauf in eine herausfordernde Position gebracht. Die Notwendigkeit, sich auf eine unberechenbare und volatile Geschäftsumgebung einzustellen, erfordert eine Neubewertung der Beschaffungsstrategien. Um auf unvorhersehbare Ereignisse besser reagieren und sich schnell an sich ändernde Marktbedingungen anpassen zu können, müssen Unternehmen umgehend die Resilienz ihrer Supply Chain stärken. Die zunehmende Volatilität und Unsicherheit haben die Notwendigkeit einer flexiblen, widerstandsfähigen Supply Chain verdeutlicht, die in der Lage sein muss, schnell auf Störungen zu reagieren und sich erfolgreich in kürzester Zeit zu erholen. Im folgenden Abschnitt wird das grundlegende Verständnis von Supply Chain Resilienz, insbesondere im Kontext des Einkaufs, erläutert.

Die Geheimnisse einer widerstandsfähigen Lieferkette: Supply Chain Resilienz erklärt

Traditionelle Beschaffungsstrategien reichen heutzutage nicht mehr aus, um den Herausforderungen einer sich ständig verändernden Umgebung standzuhalten. Stattdessen müssen Unternehmen sich mit der Thematik der Supply Chain Resilienz intensiv auseinandersetzen.

Für Unternehmen bedeutet Supply Chain Resilienz, in der Lage zu sein, die Auswirkungen von Störungen vorherzusehen, auf diese Störungen zu reagieren, sich von ihnen zu erholen und letztendlich die Leistung ihrer Supply Chain zu steigern. Das Konzept geht über die reine Krisenbewältigung hinaus und erfordert eine holistische Sichtweise auf die gesamte Supply Chain. Somit muss eine Überprüfung und Anpassung bisheriger Vorgehensweisen und Strategien im Einkauf vorgenommen werden.

Statt ausschließlich auf Kostenreduktion und Effizienzsteigerung ausgerichtet zu sein, geraten vier neue Kernfähigkeiten Agilität, Transparenz, Kollaboration und Robustheit mehr in den Vordergrund, mithilfe derer Unternehmen Supply Chain Resilienz erreichen. Die Rolle des Einkaufs übernimmt dabei einen aktiven Part, um die Supply Chain widerstandsfähig zu gestalten und gleichzeitig die Gesamtleistung des Unternehmens zu steigern.

Supply Chain Resilienz: Die Schlüsselmaßnahmen im Einkauf

Die folgenden Maßnahmen dienen als Eckpfeiler einer widerstandsfähigen Supply Chain und verdeutlichen das Potenzial des Einkaufs, nicht nur auf Herausforderungen zu reagieren, sondern auch strategische Vorteile für das Unternehmen zu schaffen.

Agilität: Flexibilität innerhalb der Organisationen

Die Diversifikation des Lieferantenportfolios ist eine präventive Maßnahme zur Vermeidung großer Abhängigkeiten von einzelnen Lieferanten. Durch die Zusammenarbeit mit einem breiteren Lieferantennetzwerk aus verschiedenen Regionen und Ländern und das präventive Aufbauen und Qualifizieren mehrerer Lieferanten wird dem Einkauf ermöglicht Abhängigkeiten zu reduzieren und Risiken zu streuen. Der Einkauf trägt so zur Schaffung einer stabilen Supply Chain bei, die flexibel auf Veränderungen reagieren kann. Diese Diversifikation eröffnet nicht nur alternative Lieferquellen, sondern auch Verhandlungsspielräume. Mit Erhöhung der Diversifikation des Lieferantenportfolios steigt die Komplexität und der administrative Aufwand. Nichtsdestotrotz ist die sinkende Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten ein deutlicher Wettbewerbsvorteil, in den es sich zu investieren lohnt.

Transparenz: Datengesteuerte Prozesse als Frühwarnsystem

Die Sicherstellung der Transparenz entlang der gesamten Supply Chain ist ein fundamentaler Schritt hin zur Supply Chain Resilienz. Dies beinhaltet nicht nur das präzise Nachverfolgen der physischen Bewegungen von Materialien, sondern auch das umfassende Verständnis der einzelnen Zukaufteile und ihrer Zuordnung zu den Endprodukten sowie Transparenz über Bedarfe und Kapazitäten. Die Transparenz über Produktzusammensetzungen und -abläufe ermöglicht es Unternehmen, kritische Ressourcen und Engpässe frühzeitig zu identifizieren, noch bevor sie zu Störungen führen können.

Eine mögliche Maßnahme zur Erhöhung der Transparenz ist die Implementierung eines Lieferantenbewertungssystems. Lieferanten werden ermutigt, kontinuierlich transparente Informationen über ihre eigenen Supply Chain Prozesse bereitzustellen. Durch dieses System können Unternehmen Lieferanten anhand von Kriterien wie Transparenz, Qualität und Lieferzeit bewerten und ihre Partnerschaften entsprechend gestalten. Des Weiteren können Risk-Management-Tools für fortschrittliche Datenanalysen eingesetzt werden, um potenzielle Risiken frühzeitig zu erkennen. Diese Technologien eröffnen dem Einkauf die Möglichkeit, sich von einer reaktiven hin zu einer proaktiven Position zu bewegen, indem sie frühzeitig Bedrohungen erkennen und Notfallpläne entwickeln. Die Verbindung von Technologie und Daten ermöglicht es, vorausschauend zu agieren, Bedrohungen zu minimieren und die Resilienz der Supply Chain zu maximieren.

Kollaboration: Synergieeffekte durch Informationsaustausch und partnerschaftliche Zusammenarbeit

Der strategische Einsatz von Technologien stellt einen Schlüssel zur Erhöhung der Supply Chain Resilienz dar. Kollaborationsplattformen ermöglichen eine nahtlose Kommunikation mit Lieferanten, Dienstleistern und internen Abteilungen und bietet Potenziale zur Verbesserung von Abstimmungen sowie der digitalen Bearbeitung von Dokumenten. Mithilfe einer Kollaborationsplattform kann nicht nur die Koordination und Reaktionsfähigkeit in Zeiten der Unsicherheit verbessert werden, sondern auch deutlich das Risikopotenzial reduziert werden. Die hohe Datenqualität, kontextbasierte Abstimmung und revisionssicherere Weiterverarbeitung von Daten in der Prozesskette ermöglichen dies. Desweiteren stellt die Implementierung eines Bedarfs- und Kapazitätmanagement-Tools eine Kollaborationsmöglichkeit zur Bereitstellung tagesaktueller Informationen  und Erhöhung der Transparenz dar. Sowohl das Unternehmen als auch seine Lieferanten werden darüber angebunden Die detaillierte Analyse von historischen Daten sowie Echtzeitinformationen liefert wertvolle Erkenntnisse, die dem Einkauf die Möglichkeit geben, Engpässe vorab zu antizipieren, Forecasts optimal anzupassen und somit die gesamte Agilität der Supply Chain deutlich zu erhöhen.

Der Wandel von einer transaktionalen zu einer partnerschaftlichen Beziehung mit Lieferanten ist ein weiterer Faktor, um die Supply Chain Resilienz zu stärken. Die Fähigkeit zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Lieferanten fördert die Anpassungsfähigkeit der Supply Chain und erhöht die Widerstandsfähigkeit gegenüber externen Störungen. Insbesondere die Covid19-Pandemie zeigte, wie wichtig eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Lieferanten ist. In dieser Zeit kam es beispielsweise zu starken Lieferverzögerungen oder Produktionsausfällen. Durch die enge Zusammenarbeit und offene transparente Kommunikation, die auf einem langjährigen vertrauensvollen Geschäftsverhältnis beruht, konnten Herausforderungen gemeinsam angegangen und an gemeinsamen Lösungen gearbeitet werden.

Robustheit: Aufrechterhaltung der Leistung trotz Herausforderungen

Sollten Störungen bereits eingetreten und die Supply Chain betroffen sein, stellt die Implementierung einer Supplier Task Force eine wichtige reaktive Maßnahme dar. Sie kann bei der Bewältigung unmittelbarer Krisen helfen, wie zu Zeiten von Rohmaterialknappheit und Covid19-Pandemie. Ein Team aus internen und externen Experten arbeitet dabei eng mit Lieferanten zusammen mit dem Ziel Herausforderungen zu bewältigen und die Leistungsfähigkeit der Supply Chain zu gewährleisten. Die drei wichtigsten Faktoren sind hierbei 1. der erhöhte regelmäßige Austausch zwischen Einkauf und Lieferant, 2. Die Schaffung von Transparenz über alle benötigten Informationen und 3. die Ableitung von Maßnahmen, um in Zukunft frühzeitig entsprechend reagieren zu können. Die Task Force fördert die enge Zusammenarbeit zwischen den Akteuren, beschleunigt die Wiederherstellung sowie Verbesserung der Performance und erhöht die Resilienz, in dem sie die Faktoren Kommunikation, Informationsfluss und Datentransparenz verbessert. Durch den intensiven Austausch mit den Lieferanten können Schwachstellen in der Supply Chain identifiziert werden. Eine Supplier Task Force ermöglicht eine frühzeitige Risikoerkennung und Umsetzung proaktiver Maßnahmen zur Sicherstellung der kontinuierlichen Versorgung.

Die vier beispielhaften Maßnahmenfelder verdeutlichen das umfangreiche Potential des Einkaufs, die Supply Chain Resilienz zu stärken. Jeder dieser Ansätze trägt dazu bei die Kernfähigkeiten Agilität, Transparenz, Kollaboration und Robustheit zu verbessern. Durch die Umsetzung dieser Maßnahmen können Unternehmen nicht nur die Resilienz ihrer Supply Chains erhöhen, sondern auch einen Wettbewerbsvorteil in einer sich ständig verändernden Geschäftsumgebung erlangen.

Supply Chain Resilienz als erfolgskritische Disziplin

Der Einkauf hat seine Rolle im Unternehmenskontext neu definiert: Von der reinen Beschaffung zum strategischen Gestalter einer widerstandsfähigen nachhaltigen Supply Chain. Die heutige Geschäftsumgebung erfordert einen Einkauf, der nicht nur die Effizienz und Kostenoptimierung fokussiert ist. Vielmehr müssen auch die Fähigkeiten Agilität, Transparenz, Kollaboration und Robustheit stärker in den Vordergrund gerückt werden, um sich den Herausforderungen der Unsicherheit und der Veränderung anzupassen.

Angesichts der sich häufig verändernden Marktbedingungen und der gestiegenen Anfälligkeit der Supply Chains ist Resilienz zu einer erfolgskritischen Disziplin geworden, die mehr denn je im Fokus steht. Unternehmen müssen die Notwendigkeit der Supply Chain Resilienz anerkennen und aktiv Maßnahmen ergreifen. Neue Prozesse und Zuständigkeiten müssen definiert werden und es bedarf einem gezielteren Umgang mit Datenmodellen. Der Einkauf stellt hierbei eine treibende Kraft dar. Die Beteiligung aller relevanten Akteure, von der Geschäftsführung bis zu den Lieferanten, ist der Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung der Maßnahmen. Als Bindeglied zwischen internen Abläufen und externen Partnern ist der Einkauf in der Position, die Richtung der Supply Chain maßgeblich mit zu beeinflussen. Die getroffenen Entscheidungen reichen über die reine Beschaffung hinaus und haben direkten Einfluss auf die Anpassungsfähigkeit und Reaktionsbereitschaft der Supply Chain sowie der Leistungsfähigkeit des Unternehmens.

Die Implementierung der beschriebenen Maßnahmen zur Steigerung der Supply Chain Resilienz kann Unternehmen erhebliche Vorteile verschaffen. Eine widerstandsfähige Supply Chain ermöglicht nicht nur die Überwindung von Krisen. Sie eröffnet auch Chancen zur Erschließung neuer Märkte und zur Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle. Unternehmen, die ihre Supply Chain resilient gestalten, können sich von Wettbewerbern abheben und ihre Position am Markt stärken.

Vielen Dank an meine Co-Autoren Amelie Ostermann und Lukas Grünewald.

Unsere Experten

Kai Hasenklever

Vice President | Head of Industrial Procurement, Capgemini Invent Germany
Ich bin Experte für Procurement Strategy, Procurement Operating Model Design, Procurement Outsourcing, Source-to-Pay Prozessoptimierung, Cloud Procurement, Digital Transformation, Supplier Management und Working Capital Management.

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