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Systems Engineering als Key-Enabler für die Entwicklung nachhaltiger Produkte

Florian Lux
13. Juli 2023
capgemini-invent

Teil 2: Integration von Nachhaltigkeitsanforderungen mithilfe von Systems Engineering

Nachhaltigkeitsstakeholder müssen innerhalb des Anforderungsmanagements integriert werden

Die Produktentwicklung ist entscheidend, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Wie im ersten Blog ausgeführt, werden die Auswirkungen eines Produkts auf Umwelt (Ökologie) und Gesellschaft (Soziales) in hohem Maße in der Produktentwicklung beeinflusst. Es ist daher zwingend erforderlich, Nachhaltigkeitsanforderungen in die Produktentwicklung zu integrieren.

Im ersten Blog haben wir dargelegt, was Nachhaltigkeitsanforderungen sind und unsere Anforderungsbibliothek für Nachhaltigkeitsanforderungen vorgestellt. Im zweiten Blog zeigen wir, wie die Integration dieser Nachhaltigkeitsanforderungen in bestehende Anforderungsprozesse mithilfe von Methoden des Systems Engineering gelingt. Unsere Kernthese, Systems Engineering ist der Key-Enabler für die Entwicklung von nachhaltigen Produkten, wollen wir nachfolgend begründen.

Zentral für die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsanforderungen ist die Integration von Nachhaltigkeitsstakeholdern innerhalb des Anforderungsmanagements. Diese Nachhaltigkeitsstakeholder stellen jeweils Nachhaltigkeitsanforderungen an das Produkt. Für die Definition eines Nachhaltigkeitsstakeholders wird die IREB Definition eines Stakeholders [vgl. 1] um Nachhaltigkeit erweitert:

“Ein Nachhaltigkeitsstakeholder ist eine Person oder Organisation, die Interesse am System hat mit einem Fokus auf Nachhaltigkeit.” [2]

Wie in ISO 15288 [3] sowie ISO 29148 [4] ausgeführt, müssen Anforderungsprozesse mit der Analyse der Stakeholder und deren Anforderungen starten. Entscheidend für die Entwicklung eines nachhaltigen Produkts ist daher, dass auch Nachhaltigkeitsstakeholder und deren Anforderungen berücksichtigt werden. Abbildung 1 visualisiert diese Integration. Nachhaltigkeitsstakeholder wie die Vereinten Nationen, die GRI, ISO sowie Weitere müssen als relevant für das System of Interest betrachtet werden und daher innerhalb des Systemkontexts berücksichtigt werden. Wir empfehlen, mindestens die Sustainable Development Goals der UN, die de facto Standards für Nachhaltigkeit der GRI, das Greenhouse Gas Protocol, die Anforderungen aus Cradle-to-Cradle, die EMAS-Verordnung der EU und die abgeleiteten Anforderungen aus dem Umweltmanagementsystem der ISO 14001 zu berücksichtigen. Wichtig ist zudem die regulatorischen Anforderungen aus den Märkten bezüglich Nachhaltigkeit zu integrieren.

Abbildung 1: Integration von Nachhaltigkeitsstakeholdern innerhalb des Anforderungsmanagements [5]

Die Nachhaltigkeitsanforderungen der Nachhaltigkeitsstakeholder müssen analog behandelt werden wie die Anforderungen der weiteren Stakeholder

Wie dem Systemkontextdiagramm in Abbildung 1 zu entnehmen, ist in unserem Beispiel die Batterie das System of Interest. Die Grenze des Systems Batterie ist die Systemgrenze. Das System Kunde (zum Beispiel ein Elektromotor oder eine Wärmepumpe), Stakeholder (zum Beispiel der Gesetzgeber oder die Qualitätsabteilung) sowie die Nachhaltigkeitsstakeholder werden als relevanter Teil der Umgebung definiert und sind daher Teil des Systemkontexts. Weitere Systeme und Akteure, die mit dem System Batterie interagieren, werden aus Übersichtlichkeitsgründen vernachlässigt.

Entscheidend ist nun, dass die Bedarfe der Nachhaltigkeitsstakeholder analysiert und hieraus Nachhaltigkeitsanforderungen spezifiziert werden. Das Ergebnis, die spezifizierten Nachhaltigkeitsanforderungen, findet sich in Abbildung 2 unseres ersten Blogs.

Diese Nachhaltigkeitsanforderungen der Nachhaltigkeitsstakeholder müssen analog behandelt werden wie die Anforderungen der weiteren Stakeholder. Nachhaltigkeitsanforderungen müssen, wie alle anderen Stakeholderanforderungen, im Rahmen der Anforderungsmanagementprozesse des V-Modells eingesteuert werden. Nachhaltigkeitsanforderungen auf Stakeholderebene müssen im Weiteren wie alle anderen Stakeholderanforderungen zu Systemanforderungen abgeleitet werden. Bei Berücksichtigung unseres Konzepts ist das Ergebnis, dass die Systemanforderungsspezifikation auch die abgeleiteten Nachhaltigkeitsanforderungen enthält. In den weiteren Prozessschritten müssen diese Systemanforderungen auf der rechten Seite des V gemäß Systems Engineering Vorgaben abgesichert werden (Verifikation & Validierung). [vgl. 2]

Traceability von Nachhaltigkeitszielen zu Nachhaltigkeitsanforderungen auf Systemebene

Gemäß dem beschriebenen Vorgehen resultiert eine bidirektionale Traceability vom Nachhaltigkeitsziel zur Nachhaltigkeitsanforderung auf Stakeholderebene sowie zur konkreten Nachhaltigkeitsanforderung auf Systemebene. Dies ist in Abbildung 2 visualisiert. Das Nachhaltigkeitsziel „Nachhaltige/r Konsum und Produktion“ wird abgeleitet zu Nachhaltigkeitsanforderungen auf Stakeholderebene. Die weitere Ableitung für das System Batterie erfolgt durch Spezifikation von Nachhaltigkeitsanforderungen auf Systemebene, wie beispielsweise „Gesamtmaterialeinsatz der Batterie“, „Recyclingquote verwendeter Materialien“ und „Energieeffizienz des Ladevorgangs“ zur Senkung des Energiebedarfs.

Abbildung 2: Traceability von Nachhaltigkeitszielen zu Nachhaltigkeitsanforderungen auf Systemebene in Cameo Systems Modeler

Der Mehrwert des vorgestellten Vorgehens liegt sowohl in der Schaffung von Transparenz als auch in der Erfüllung von Compliance. Erstens erlangen Sie Transparenz darüber, welche Anforderungen innerhalb der Systemanforderungsspezifikation nachhaltigkeitsrelevant sind. Eine Systemanforderung, die zurückverfolgbar ist zu einem Nachhaltigkeitsziel, ist nachhaltigkeitsrelevant und muss im Rahmen der Entwicklung umgesetzt werden. Diese Transparenz ermöglicht eine Priorisierung von nachhaltigkeitsrelevanten Anforderungen und stellt somit die Grundlage dar für die Entwicklung eines nachhaltigen Produkts.

Zweitens erfüllen Sie Compliance Vorgaben und können nachweisen, dass Sie Nachhaltigkeitsziele im Rahmen Ihrer Produktentwicklung berücksichtigt haben. Dieser Nachweis erfolgt durch Traceability Maps oder Traceability Matrizen, die die Rückverfolgbarkeit einer Systemanforderung zum Nachhaltigkeitsziel darlegen.

Integration von Nachhaltigkeitsanforderungen in Ihre Anforderungsprozesse

Systems Engineering ist der Key-Enabler für die Entwicklung von nachhaltigen Produkten. Um ein nachhaltiges Produkt zu entwickeln, müssen Nachhaltigkeitsanforderungen innerhalb der Anforderungsprozesse berücksichtigt werden. Im Rahmen des Blogs haben wir aufgezeigt, wie dies gelingt. Gerne unterstützen wir Sie bei der Integration von Nachhaltigkeitsanforderungen in Ihre Anforderungsprozesse und entwickeln gemeinsam mit Ihnen Nachhaltigkeitsanforderungen für Ihre Produkte, die aligned sind mit den Nachhaltigkeitszielen Ihres Unternehmens. Unsere Experten Verena Gertz, Florian Lux und Sebastian Stieber freuen sich auf Ihre Kontaktaufnahme.

Co-Autoren: Verena Gertz & Sebastian Stieber

Literatur

[1] IREB (Hrsg.). (2020). Handbuch für das CPRE Foundation Level nach dem IREB-Standard: Aus- und Weiterbildung zum Certified Professional for Requirements Engineering (CPRE), Foundation Level (Version 1.0.0)

[2] Stieber, S. (2022). Integration von Nachhaltigkeitsanforderungen in die Sensorplanung mit Hilfe von Systems Engineering, Masterarbeit, TU Darmstadt, Fachgebiet Product Life Cycle Management

[3] ISO/IEC/IEEE 15288. (2015). Systems and software engineering – System life cycle processes

[4] ISO/IEC/IEEE 29148. (2011). Systems and software engineering – Life cycle processes – Requirements engineering

[5] Bildquelle SDGs: https://www.un.org/sustainabledevelopment/news/communications-material/, aufgerufen am 05.05.2023; Bildquelle GRI-Standards: GRI & GSSB (Hrsg.). (2016). GRI 101: Grundlagen; Bildquelle GHG: WBCSD & WRI. (2015). The Greenhouse Gas Protocol: A Corporate Accounting and Reporting Standard. https://ghgprotocol.org/corporate-standard, aufgerufen am 16.06.2023; Bildquelle Cradle-to-Cradle: https://c2c.ngo/, aufgerufen am 12.05.2023; Bildquelle EMAS: https://www.emas.de/, aufgerufen am 12.05.2023

Autor

Florian Lux

Director | Software & Systems Engineering, Capgemini Invent Germany
Florian Lux verantwortet bei Capgemini Invent das „Software und Systems Engineering“ Team. Dort unterstützt er und sein Team zahlreiche Kunden bei der Konzeption und Implementierung effizienter Entwicklungsprozesse auf Grundlage der Systems Engineering Methodik. Nach seinem Physik-Studium startete Florian Lux seine berufliche Laufbahn 2011 in der Technologieberatung und spezialisierte sich dabei vor allem auf die methodische Entwicklung komplexer und hochvernetzter Produkte und Kundenfunktionen, u.a. Im Automotive- und Luftfahrt-Bereich.

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