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Battery Passport – Potenziale durch erfolgreiche technische Umsetzung nutzen

Marc Schmid
11.07.2024
capgemini-invent

Die Relevanz des Batteriepasses (engl. Battery Passport) ist unbestreitbar. Mit der EU-Batterieverordnung von 2023 und weiteren Regulatorien wurde der Grundstein gelegt: Ab Februar 2027 muss jeder Economic Operator, welcher Batterien für Elektrofahrzeuge, leichte Transportmittel wie E-Bikes, oder Industriebatterien mit einer Kapazität über 2 kWh in den Verkehr bringt, einen digitalen Batteriepass bereitstellen. Als erster verpflichtender digitaler Produktpass der EU soll er den Weg zu einem kreislauforientierten, transparenten und leistungsstarken Batterielebenszyklus ebnen.

Der Batteriepass bildet die physische Batterie digital ab. Er erfasst etwa 100 statische und dynamische Datenpunkte entlang der gesamten Wertschöpfungskette in sieben Kategorien. Statische Daten wie Materialinformationen und CO2-Fußabdruck werden vor allem vor der Nutzung erfasst. Dynamische Daten wie Ladestand und verbleibende Leistungsfähigkeit verändern sich über den Lebenszyklus der Batterie. Differenzierte Zugriffsrechte regeln, welche Daten öffentlich oder nur für bestimmten Gruppen zugänglich sind. Der Economic Operator, also der Inverkehrbringer der Batterie, trägt die Verantwortung für die Vollständigkeit und Korrektheit der Daten, während weitere Akteure entlang des Batterielebenszyklus ebenfalls Informationen bereitstellen müssen. Der Batteriepass ist daher für alle Unternehmen in der Batterielieferkette non hoher Relevanz.

Mehrwerte des Digitalen Batteriepasses

Neben der regulatorischen Bedeutung bietet der Batteriepass zahlreiche Mehrwerte und Möglichkeiten für Unternehmen, Behörden, Verbraucher und die Umwelt[1]. Die digitale Erfassung der Daten ermöglicht einen erleichterten und sicheren Zugriff auf zuvor nicht konsolidierte Batteriedaten. Das Hauptziel bleibt die Förderung von Nachhaltigkeit und Zirkularität von Batterien gemäß dem Circular Economy Action Plan (CEAP) – mit positiven Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft.

Für Unternehmen eröffnet die gewonnene Transparenz außerdem neue Geschäftsfelder entlang der gesamten Wertschöpfungskette, vom Rohstoffabbau bis zum Recycling. Um das volle Potenzial zu nutzen, sollten sie den Batteriepass jedoch als strategische Chance begreifen und über die regulatorischen Anforderungen hinaus zusätzliche Attribute implementieren. Besonders in der Upstream- und Downstream-Lieferkette bieten sich Möglichkeiten, die Vorteile eines länder- und branchenübergreifenden Batteriepasses zu realisieren – vorausgesetzt, Behörden schaffen günstige Bedingungen und gezielte Unterstützung.

Um die Mehrwerte des Batteriepasses greifbar zu machen, lohnt sich ein Blick auf zwei konkrete Anwendungsfälle. Sie zeigen exemplarisch auf, welchen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Nutzen der Batteriepass stiften kann. Diese direkten Anwendungsfälle ergeben sich aus den Datenanforderungen der EU-Batterieverordnung.

1. Use Case: Effizientere Recyclingprozesse[2]

Der Batteriepass optimiert Recyclingprozesse und ermöglicht Kosteneinsparungen von etwa 10–20%. Essenziell dafür ist die Verfügbarkeit von Daten über die Batteriezusammensetzung und -demontage. So ist beispielsweise aufgrund der hohen Varianz der Batteriedesigns die Demontage ohne detaillierte Informationen zu Zusammensetzung und Design sehr zeitaufwendig. In der aktuellen Situation ohne Batteriepass sind diese Daten schwer zu erhalten und mit hohen Kosten verbunden, was zu Informationslücken in der Vorverarbeitungs- und Demontagephase führt. Der Batteriepass schließt diese Lücke, indem er Recyclingunternehmen die notwendigen Informationen zum Batterieaufbau und -zustand zur Verfügung stellt. Dadurch können Voranalysen und Batterie-Samplings deutlich reduziert werden, und die Batteriedemontage kann optimiert und automatisiert ablaufen. Neben ökonomischen Vorteilen durch Kosteneinsparungen bringt der Batteriepass in diesem Anwendungsfall auch erhebliche ökologische Vorteile. Dank der besseren Verfügbarkeit von Daten können im Recyclingprozess zusätzliche Materialien rückgewonnen und wiederverwendet werden, was die CO₂-Emissionen reduziert.

2. Use Case: Vereinfachte Restwertermittlung[3]

Dank des Batteriepasses können Second-Life-Betreiber die Anzahl der notwendigen technischen Tests reduzieren und dadurch etwa 2–10 % der Beschaffungskosten einschließlich der technischen Tests einsparen. EV-Batterien haben „End-of-Life“ noch etwa 70 % Restkapazität und sind daher potenziell attraktiv für ein sogenanntes Second Life. Um zwischen Recycling oder Wiederverwendung zu entscheiden, ist der „State of Health“ der Batterie und somit der Restwert entscheidend. Für die Ermittlung dessen sind derzeit jedoch zeit- und kostenintensive Tests erforderlich. Der Batteriepass bietet durch die Verfügbarkeit historischer Leistungs- und Haltbarkeitsdaten eine Lösung. Dank der gewonnen Datentransparenz können technische Tests reduziert und die Genauigkeit der Batteriebewertung erhöht werden, was zu einer Reduzierung der Kosten führt. Der Batteriepass kann somit die Anzahl der Batterien erhöhen, die in ein umweltfreundlicheres Second-Life gehen, was Berechnungen des EU Battery Pass Konsortiums zu Folge etwa 6-20% des stationären Bedarfs für Energiespeicher in Europa decken könnte. Folglich werden der Rohstoffverbrauch und die CO₂-Emissionen gesenkt.

Der Batteriepass bietet zahlreiche Mehrwerte für die gesamte Industrie, die Umwelt und die Kunden. Daher ist es entscheidend, die technischen Aspekte des Batteriepasses präzise zu definieren, um diese enormen Vorteile voll auszuschöpfen. Die Entscheidung der technischen Umsetzung wird der Schlüssel für die Realisierung dieser Mehrwerte sein und bestimmt maßgeblich, wie effizient und nachhaltig die zukünftigen Prozesse gestaltet werden können.

Technische Aspekte des Batteriepasses

Die EU Batterie Regulierung ist technologieneutral formuliert, sodass die technische Konzeption des digitalen Batteriepasses jeder Partei selbst obliegt. Insbesondere die Festlegung technischer Standards ist zentral, um ein zuverlässiges und nahtlos interoperables Batteriepass-System zu schaffen. Dies ist bei der Entwicklung des Batteriepasses jedoch besonders komplex. Eine wesentliche Herausforderung ist die notwendige Interoperabilität, damit alle Interessensgruppen sicher auf sensible Daten zugreifen und diese austauschen können. Darüber hinaus müssen die komplexen Regularien des Batteriepasses, die durch sektorspezifische Vorschriften ergänzt werden, innerhalb strenger zeitlicher Vorgaben umgesetzt werden. Angesichts dieser Herausforderungen ist es entscheidend, einen detaillierten Spezifikationsvorschlag für die technische Umsetzung des Batteriepass-Systems zu entwickeln.

Zentrale technische Ebenen des Batteriepasses

Der Batteriepass erfordert eine umfassende Lösung, die verschiedene interoperable technische Layer umfasst. Um die Funktionalität zu gewährleisten, müssen auf unterschiedlichen Ebenen vorab weitreichende Entscheidungen getroffen werden (Abb. 1).

Abbildung 1: Technische Ebenen des Batteriepasses

1. Data Collection and Exchange

Die erste Ebene konzentriert sich auf die Sammlung und den Austausch von Daten zwischen verschiedenen Interessengruppen. Hier werden sowohl statische als auch dynamische Daten entlang der gesamten Lieferkette erfasst. Die Vielzahl der Datenquellen und involvierten Unternehmen bietet zwei grundsätzliche Möglichkeiten: Datenaustausch in einem gemeinsamen Data Space, wie bei beispielsweise Catena-X, oder aber der Austausch der Datenattribute via APIs. Schlüssel hierfür sind einheitliche semantische Modelle, die entlang der Wertschöpfungskette genutzt werden können.

2. Identity Management

Für einen reibungslosen Datenaustausch muss jede Batterie einen eindeutig identifizierbaren Identifikator (sog. Unique Identifier) erhalten. Ebenso sollten auch alle Organisationen und Personen, die am Batterie-Ökosystem beteiligt sind, eine eindeutige Kennung erhalten. Um die anspruchsvollen Anforderungen eines dezentralen Batteriepass-Systems zu erfüllen ist der Einsatz von neuen Identitäts- und Zugriffsmanagement-Technologien, die Datenhoheit gewährleisten können, erforderlich. Aus diesem Grund kann der Einsatz des Self-Sovereign Identity (SSI) Konzepts und die damit einhergehende Ausstellung von dezentralen Identitäten und sogenannten Verifiable Credentials interessant sein.

3. Data Storage / Processing

Ein Teil der Datenattribute wird bei Zulieferern entlang der Wertschöpfungskette eingesammelt, ein anderer Teil der Daten kommt aus ERP- und Produktionssystemen des Economic Operators. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Daten zu diesem Zeitpunkt noch in unterschiedlichen semantischen Modellen und unterschiedlichen Datenbanken gespeichert sind. Abhängig von der vorliegenden IT-Architektur kann es Sinn machen, die Daten in einem zentralen Data Registry zu konsolidieren.

4. Data Sharing and Access Management

Die für den Batteriepass relevanten Daten müssen mittels eines User Interfaces bereitgestellt werden, wobei ein differenziertes Berechtigungssystem den sicheren und bedarfsgerechten Datenzugriff gewährleistet. Basierend auf den eindeutigen Kennungen müssen alle relevanten Akteure identifiziert und mit entsprechenden Zugangsrechten versehen werden. Dies stellt sicher, dass Nutzende Zugang zu den erforderlichen Informationen erhalten, während sensible Daten durch Zugangskontrollmaßnahmen geschützt bleiben.

Es stehen verschiedene Datenträger zur Verfügung, die den Zugriff auf den Batteriepass ohne zusätzliches Herunterladen von Software ermöglichen. Auch wenn die Regulierung nicht den einen Standard vorgibt, scheinen aktuell QR-Codes als Datenträger gegenüber RFID oder NFC-Tags bevorzugt zu werden.

Die Interoperabilitätsherausforderungen[4]

Bei allen technischen Fragestellungen sollte das Kriterium der Interoperabilität im Mittelpunkt stehen. So muss in der Realisierung beispielsweise darauf geachtet werden, dass das System unterschiedliche Datenträger wie QR-Codes oder Smart Labels wie RFID oder NFC-Tags unterstützt. Gleiches gilt für den Unique Identifier, welcher ökosystem- und applikationsübergreifend verwendbar sein sollte, andernfalls kann es zu ungewollten Vendor Lock-ins kommen. Ein weiterer essenzieller Punkt ist die Nutzung von standardisierten Datenmodellen. Einerseits macht dies den Datenfluss in der Wertschöpfungskette und der Systeme des Economic Operators einfacher, andererseits sind standardisierte Datenmodelle auch der Schlüssel für skalierbare Produktausweise.

Fazit

Der Batteriepass wird aller Voraussicht nach nur der Einstieg in eine Welt zahlreicher digitaler Produktausweise sein.  Durch die Erfassung weitreichender Daten entlang der gesamten Wertschöpfungskette können erhebliche ökologische und ökonomische Vorteile erzielt werden. Derzeit konzentrieren sich Marktakteure hauptsächlich auf die Erfüllung regulatorischer Vorschriften. Um jedoch das volle Potenzial des Batteriepasses zu realisieren müssen Unternehmen diesen als strategische Chance wahrnehmen und über die geforderten Datenattribute hinaus ergänzende individuelle Anwendungen implementieren.

Die erfolgreiche Umsetzung des Batteriepasses hängt jedoch maßgeblich von der präzisen technischen Ausgestaltung und der Interoperabilität der Systeme ab. Zukünftige Herausforderungen werden darin bestehen, ein einheitliches und zuverlässiges System zu schaffen, das verschiedene technische Standards, Datenmodelle und Identitätsmanagementlösungen integriert. Somit kann der Batteriepass in der Zukunft als Vorbild für weitere digitale Produktausweise dienen, die in verschiedenen Industrien Anwendung finden werden.

Vielen Dank an unsere Co-Autoren Daniel Schlager und Theresa Wöppel.


[1] Thebatterypass.eu (2024): The Value of the EU Battery Passport. Version 0.9. An exploratory assessment

[2] Use Case E aus: Thebatterypass.eu (2024): The Value of the EU Battery Passport. Version 0.9. An exploratory assessment of economic, environmental and social benefits, S. 57 ff., accessible via: https://thebatterypass.eu/assets/images/value-assessment/pdf/2024_BatteryPassport_Value_Assessment.pdf, last accessed: 15.06.2024

[3] Use case F aus: Thebatterypass.eu (2024): The Value of the EU Battery Passport. Version 0.9. An exploratory assessment of economic, environmental and social benefits, S. 69 ff., accessible via: https://thebatterypass.eu/assets/images/value-assessment/pdf/2024_BatteryPassport_Value_Assessment.pdf, last accessed: 17.06.2024

[4] thebatterypass.eu (2024): Batt­ery Passport Technical Guidance. Technical challenges, standards and recommendations for a batt­ery passport system. Version 1.0, S. 71 ff., accessible via: https://thebatterypass.eu/assets/images/technical-guidance/pdf/2024_BatteryPassport_Technical_Guidance.pdf, last accessed: 17.06.2024

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Manager | Business Technology, Capgemini Invent Germany
Unsere „eco-digital economy“ ist geprägt von regulatorischen Veränderungen und Transformationsprojekten für Wirtschaft und Gesellschaft. Der Fokus meiner Arbeit liegt dabei auf dem Einsatz von digitalen Identitäten und Blockchain – für die Verbesserung von Prozessen, die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und dem Ausbau von Datensouveränität.

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Senior Manager | Business Technology, Capgemini Invent Germany
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