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Aktuelle Herausforderungen des stationären Handels – wie Händler ihre Vertriebsprozesse optimieren können

Tassilo Kilas
7. Aug. 2023
capgemini-invent

Explodierende Kosten, gesteigerte Preissensibilität der Kunden und stetig zunehmende Komplexität stellen den Einzelhandel aktuell vor große Herausforderungen. Dennoch zeigt sich der stationäre Handel robust. Über 70% Prozent der Kunden möchten zukünftig wieder mehr in physischen Stores einkaufen als vor der Pandemie (Capgemini Research Institute, What matters to today’s consumer, 2022).

Die anhaltend hohe Inflation und die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine stellen den Handel seit Monaten vor große Herausforderungen. Zum einen haben Händler mit massiven Kostenerhöhungen in fast allen Bereichen zu kämpfen. Insbesondere die rasant gestiegenen Beschaffungs- und Energiepreise und die angespannte Situation der Lieferketten belasten viele Unternehmen. Zum anderen geben viele Händler die Kostensteigerungen oft nicht sofort eins zu eins an die Kunden weiter, was für entsprechenden Druck auf die Margen sorgt. Themen wie Effizienz und Kostenoptimierung sind daher in den vergangenen Monaten noch stärker in den Fokus gerückt und bei vielen Händlern in der Priorisierung nach oben gewandert. Gleichzeitig sind die Kundenanforderungen in den vergangenen Jahren stark gestiegen und zahlreiche Neuerungen wie die Einführung von hochwertigen Backstationen, Self-Check-Out Kassen oder mobilen Coupons bereiten den Kunden immer neue Annehmlichkeiten, sorgen jedoch für zusätzliche Komplexität im operativen Geschäft. Das zeigt sich insbesondere im LEH, wo die Mitarbeiterquoten in den Filialen bei vielen Händlern im Verhältnis zum Umsatz überproportional gestiegen sind.

Vor diesem Spannungsfeld müssen Händler auch zukünftig sicherstellen, dass In-Store Prozesse schlank und effizient gestaltet werden, während man den Kunden gleichzeitig guten Service und ein unkompliziertes Einkaufserlebnis bietet. Hierfür müssen entsprechende Hebel identifiziert werden. Insbesondere die Mitarbeiter auf der Fläche müssen angemessen auf neue Technologien und damit einhergehende häufige Prozessanpassungen vorbereitet und bei den immer schneller auftretenden Veränderungen mitgenommen werden. Somit stellen neue Technologien die Unternehmen zwar ständig vor neue Herausforderungen, bieten jedoch gleichzeitig große Chancen. Insbesondere wird es für Händler in den nächsten Jahren nicht nur darum gehen, relevante neue Technologien für sich zu ermitteln, sondern aufbauend auf dem jeweiligen Geschäftsmodell individuell angepasste Business Cases zu entwickeln.

Aus unserer Sicht sind dabei vier Aspekte entscheidend (siehe hierzu auch Abbildung 1):

  1. Neue Technologien – Wie wichtig der Handel die Optimierung von Prozessen zunehmend einschätzt, zeigt sich auch daran, dass sich der Anteil der Unternehmen, welche die Digitalisierung von Prozessen als wichtige technologische Entwicklung in den nächsten Jahren sehen, von 14% in 2019 auf 26 % in 2021 nahezu verdoppelt hat (EHI – Technologie-Trends im Einzelhandel 2021). Da die Komplexität im Handel in den letzten Jahren massiv zugenommen hat, stoßen konventionelle Optimierungsansätze zunehmend an ihre Grenzen. Viele Händler haben dies bereits erkannt und in den vergangenen Jahren ihre Investitionen in IT und Technologie massiv ausgeweitet. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von technologischen Lösungen, die dabei helfen, In-Store Prozesse effizienter zu gestalten. Themen wie Automated Forecast & Replenishement, Seamless Checkout, Scan & Go oder Automated Rostering sind nur ein kleiner Teil, mit welchen sich viele Händler heute bereits intensiv auseinandersetzen. Insbesondere KI-Lösungen werden hier in den nächsten Jahren massiv an Bedeutung gewinnen. Wer sich hier frühzeitig positioniert, könnte Vorteile gegenüber Wettbewerbern aufbauen. Um jedoch positive Effekte aus dem Einsatz dieser Technologien realisieren zu können, bedarf es klarer Anwendungsbereiche, aus denen sich Business Cases ableiten lassen und sich somit ein eindeutiger Mehrwert für die Unternehmen ergibt. Elektronische Preisschilder sind dabei ein gutes Beispiel: zwar sind elektronische Preisschilder vereinzelt schon länger im Einsatz. Erst in jüngerer Vergangenheit wurden jedoch umfassende funktionierende Konzepte im Markt eingeführt, mit denen Händler einen Mehrwert durch den Einsatz von ESL (Eletronic Shelf Label) generieren können. Dabei ist die Reduktion des Personalaufwands zum Tausch der Preisschilder nur ein Aspekt. KI-Lösungen ermöglichen hier zusätzliche Anwendungsfälle wie z.B. Dynamic Pricing und die darauf aufbauende Reduktion von Abschriften.
  2. Mitarbeiter sind zentraler Erfolgsfaktor – Als das Gesicht der Unternehmen gegenüber den Kunden und diejenigen, die Prozesse auf der Fläche umsetzen, sind die Filialmitarbeiter weiterhin eine tragende Säule in den Stores. Der Handel steht, wie andere Branchen auch, aktuell vor massiven personellen Herausforderungen. Insbesondere die Arbeitszeiten sind für die meisten Arbeitnehmer weiterhin unattraktiv. Unternehmen müssen daher Lösungen finden, wie sie ihre Mitarbeiter trotz des gestiegenen Effizienzdrucks auf der einen und den gestiegenen Kundenanforderungen auf der anderen Seite, bestmöglich bei ihren Aufgaben unterstützen. Einige Händler haben daher bereits angefangen, Mitarbeiter aktiv in die Personalplanung zu integrieren, indem beispielsweise App basierte Lösungen eingeführt wurden, die es Mitarbeitern ermöglichen, präferierte Arbeitszeiten anzugeben oder bestimmte Zeiten für private Termine freizuhalten. Die aktive Einbindung von Mitarbeitern entlastet nicht nur Store Manager bei der Personalplanung, sondern hat positive Effekte auf das Employee Engagement und sorgt so für langfristig bessere Ergebnisse. Gleichzeitig ist es wichtig auch die Mitarbeiter aus vorgelagerten Prozessen, wie z.B. Logistik oder in Zentralfunktionen zu berücksichtigen. Auch sie tragen zur erfolgreichen Arbeit in den Filialen bei. Am oben genannten Beispiel der ESLs zeigt sich, dass Prozesse neu definiert und technische Neuerungen erläutert werden müssen: Wo bei sich ändernden Preisen früher einfach Papier ausgetauscht wurde, kann das heute per Knopfdruck erfolgen. Die einzelnen ESLs müssen jedoch über technisches Equipment einzelnen Artikeln zugeordnet werden. Hierfür müssen die Mitarbeiter vorbereitet und geschult werden.
  3. Weiterentwicklung der Steuerung – Neue und veränderte Prozesse zwingen die Händler, zu hinterfragen, ob die von Ihnen verwendeten Controlling- und Monitoringsysteme noch geeignet sind, um ihre selbstgesteckten Ziele zu erreichen. KPIs müssen weiterentwickelt oder neu eingeführt werden, um den komplexen gewordenen Anforderungen gerecht zu werden. Dasselbe gilt für eventuell daran geknüpfte Anreizsysteme für Mitarbeiter.
  4. Ganzheitliche Betrachtung – Die Herausforderung ist, Technologien nicht singulär zu betrachten sondern als Hebel für ganzheitliche Lösungen zu verstehen. Nicht die Technologie alleine bringt den Mehrwert für Unternehmen und Kunden. Vielmehr sind es geeignete Lösungen die helfen, Probleme und Herausforderungen zu meistern. Dabei können Technologien unterstützen. Ohne Zweifel ist der Einsatz der richtigen Technologien ein wichtiger Bestandteil dabei. Gleichzeitig muss das Zusammenspiel aller Prozesse und der Mitarbeiter entlang der Wertschöpfungskette, innerhalb und außerhalb der Stores, optimal aufeinander abgestimmt und orchestriert werden.

Abbildung 1: Der Einsatz der richtigen Technologie und einer entsprechenden passgenauen Steuerung unterstützt die Mitarbeiter im operativen Alltag im Store und hilft bei der effizienten Umsetzung der Prozesse ohne die Kunden aus den Augen zu verlieren

Um uns selbst ein Bild darüber zu verschaffen, welche Technologien für den Einzelhandel interessant sind und wie diese wirkungsvoll zum Einsatz kommen können, haben wir im Herzen Londons den Cornershop eröffnet. Hier haben wir die Möglichkeit, neue Lösungen nicht nur zu denken, sondern selbst in die Umsetzung zu bringen – und zwar im realen operativen Betrieb. Auf diese Weise sammeln wir täglich wertvolle Erfahrung nicht nur bei der Weiterentwicklung einzelner Technologien, sondern auch bei der Entwicklung ganzheitlich gedachter Lösungen, die Prozesse und Mitarbeiter inkludieren und so einen echten Mehrwert für Händler bieten.

Wenn Sie mehr über die Potenziale, die sich aus dem zielgerichteten Einsatz neuer Technologien für den Einzelhandel ergeben, erfahren wollen, oder sich ein eigenes Bild von unserem Cornershop verschaffen wollen, sprechen Sie uns gerne an. Lassen Sie uns darüber diskutieren, wie wir Sie bei der Weiterentwicklung Ihrer bestehenden und bei der Entwicklung neuer auf Ihr Unternehmen zugeschnittenen Lösungen unterstützen können.

Autoren: Tassilo Kilas & Tobias Weisel

Autoren

Tassilo Kilas

Senior Manager | Consumer Product & Retail, Capgemini Invent Germany
Tassilo Kilias verfügt über mehr als 10 Jahre Erfahrung in den Bereichen Konsumgüter, Einzelhandel und Vertrieb. In verschiedenen leitenden Funktionen im Einzelhandel hat er unter anderem erfolgreich Verbesserungen und Store-Renovierungen für über 1.900 Filialen initiiert und begleitet. Bei Capgemini Invent leitet er das CPR-Team in München, Deutschland. Tassilo ist ein erfahrener Einzelhandelsexperte mit einer Leidenschaft für die Zukunft des Handels, einschließlich Sales Operations Strategy, Digitale Transformation im Einzelhandel und der Relevanz von Filialen & Filialdaten in der Supply Chain.

Tobias Weisel

Vice President | Head of Consumer Products, Retail, Distribution & Transportation, Capgemini Invent Germany
Tobias Weisel berät seit mehr als 15 Jahren führende nationale und internationale Einzelhandels- und Konsumgüterunternehmen bei der Wertsteigerung für Kunden und Aktionäre. Er verbindet Strategie, Technologie, Datenwissenschaft und kreatives Design. Seine Branchenerfahrung umfasst Lebensmittel, Mode, Lifestyle, Unterhaltungselektronik und DIY entlang der Wertschöpfungskette von der Produktentwicklung bis zum Point of Sale.

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